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Bulgarien steigt aus dem AKW-Projekt Belene aus

Foto: Tanja Harisanowa
Bulgarien steigt aus dem Projekt für das geplante zweite Atomkraftwerk bei Belene an der Donau aus. Das gab der bulgarische Ministerpräsident Bojko Borissow bekannt und setzte einer 30jährigen Saga den Schlusspunkt. Er trat nach einer geschlossenen Regierungssitzung vor die Presse, nachdem er die Minister in seinem bürgerlichen Kabinett, den Präsidenten und die Mitglieder des Wirtschaftsausschusses im Parlament über ein Telefongespräch mit dem russischen Premierminister Wladimir Putin am Montag informiert hatte.

Die Entscheidung, auf das Atomkraftwerk in Belene zu verzichten, sei dem Kabinett schwer gefallen, betonte Ministerpräsident Borissow. "Man steigt aus einem Projekt, das bereits 900 Millionen Euro geschluckt hat, nicht leichter Hand", sagte er, und wies darauf hin, dass die finanzielle Last des Belene-Projektes auch ein Nachspiel hat. Bulgarien werde den ersten der beiden geplanten 1000-Megawatt-Reaktoren bezahlen und die Kosten dafür belaufen sich auf 140 Millionen Euro. Borissow zufolge werde der Reaktor erst im Oktober nach Bulgarien lieferbereit. Es sei jedoch nicht ausgeschlossen, dass Bulgarien diesen Reaktor weiter verkauft.

Heute ist der neue bulgarische Wirtschafts- und Energieminister Deljan Dobrew nach Moskau gereist, um dem russischen Vertragspartner "Atomstroyexport" von der Entscheidung in Sofia persönlich zu informieren. Der Ressortchef hat auch die schwierige Aufgabe bekommen, die russischen Partner zu überzeugen, Bulgarien auf Schadensersatz nicht zu verklagen.

Einer der Hauptgründe für den Verzicht auf das Belene-Projekt seien die Kosten, die seit 2006 explodiert sind. "Von den anfänglichen 6,4 Mrd. Euro liegen wir heute bei über 10 Mrd. Euro", sagte Ministerpräsident Borissow im Bulgarischen Rundfunk. Diesen Preis könne sich Bulgarien nicht leisten. Hinzu käme das unzumutbare Sicherheitsrisiko, da das Atomkraftwerk in einem erdbebengefährdeten Gebiet gebaut werden sollte.
Ein weiterer Grund für den Bauverzicht sei, dass Bulgarien und Russland auch weiterhin "vertrauensvolle Partner" bleiben wollen, unterstrich Borissow. Er habe Putin im Telefonat am Montag überzeugen können, dass die bilateralen Beziehungen unter dem von Anfang an umstrittenen Belene-Projekt leiden. "Dadurch gerät Russland in Bulgarien in Verruf", hat der bulgarische Regierungschef seinem russischen Amtskollegen gesagt.
Der Verzicht auf ein zweifelhaftes Projekt, wie Belene, bedeute keinesfalls, dass Bulgarien auf die Atomkraft verzichte. "Unser strategisches Ziel bleibt, die Reaktoren 5 und 6 in Kosloduj mindestens weitere 20 Jahre zu betreiben", sagte er. Anstelle der vier stillgelegten Meiler könnten zwei neue Reaktoren eingebaut werden. Bulgarien musste als Bedingung für seine EU-Mitgliedschaft vier Meiler älterer sowjetischer Bauart 2004 und 2006 stilllegen.

Anstelle der aufgegebenen Atomanlage soll ein Gaskraftwerk entstehen, wurde gestern bekannt. Noch sei jedoch unklar, wer dieses Werk bauen soll. Nun soll ein Investor gesucht werden, bestätigte der stellvertretende Wirtschafts- und Energieminister Valentin Nikolow. Bulgarien brauche jedoch die Anlage, weil es spätestens seit der Gaskrise Anfang 2009 weiß, dass es seine Erdgaslieferungen diversifizieren muss. Die Koppelung des bulgarischen Gasleitungsnetzes an die Netze in den Nachbarländern Griechenland, Türkei und Rumänien läuft seit vergangenem Jahr auf Hochtouren. Außerdem ist das russische Projekt für die Gaspipeline South Stream eine Priorität auch für Bulgarien, kommentierte gestern Präsident Plewneliew. Und Regierungschef Borissow erwartet, dass die Erdgasleitung 2015 in Betrieb genommen wird. "Dadurch wird Bulgarien eine strategisch wichtige Drehscheibe in der Gasversorgung Südosteuropas", betonte er.

Die Parteien haben sich erwartungsgemäß in zwei Lager geteilt. Ein siebenter Meiler im bestehenden AKW Kosloduj werde den Strompreis in Bulgarien halbieren, kommentierte der Vorsitzende der konservativen "Union der demokratischen Kräfte", Martin Dimitrow. Er schloss jedoch nicht aus, dass Bulgarien den lieferbaren russischen Reaktor verkaufen könnte. Dimitrows Partei ist einer der eifrigsten Gegner des umstrittenen Projektes Belene, da ein zweites russischen Atomkraftwerk die "völlige Abhängigkeit" der bulgarischen Energiewirtschaft von Moskau bedeutet hätte.
Diese Ansicht teilt auch der frühere konservative Ministerpräsident Iwan Kostow, Vorsitzender der parlamentsvertretenen "Demokraten für starkes Bulgarien". Er nannte den Verzicht auf das Belene-Projekt als Bedingung für eine mögliche Regierungskoalition mit Borissows Regierungspartei GERB nach den Parlamentswahlen 2013.

Erwartungsgemäß sind die oppositionellen Sozialisten von der Entscheidung der bürgerlichen Regierung in Sofia enttäuscht. Der frühere Energieminister Rumen Owtscharow hatte selbst das Projekt nach jahrelanger Vergessenheit Ende 2006 aus der Mottenkiste herausgeholt und gilt als einer seiner eifrigsten Befürworter. "Der Verzicht auf das Atomkraftwerk in Belene bedeutet die Liquidation der Atomenergie in Bulgarien", kommentierte Owtscharow im Bulgarischen Rundfunk. Offensichtlich diene Bulgarien fremden Interessen, so dass sich die Atomenergie in anderen Ländern entwickelt. Ein siebter russischer Reaktor in Kosloduj bedeute den Sozialisten zufolge keinesfalls weniger Energieabhängigkeit von Russland.
По публикацията работи: Vessela Vladkova


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