Die Europäische Union, die nach dramatischen Ereignissen auf dem Alten Kontinent aufgebaut wurde, stößt heute auf eine Welle der Skepsis, die ihren weiteren Bestand in Frage stellt. Das veranlasst uns dazu, erneut über die Ziele und Werte nachzudenken, die wir alle teilen. Was bringt uns die Europäische Union heute? Das Französische Institut in Sofia organisiert in Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Kultur und Debatten „Das rote Haus“, dem Bulgarischen Nationalen Rundfunk und anderen Partnern eine Diskussionsreihe unter dem Motto „Unser Europa – Was für ein Europa wollen wir?“ In jedem Monat finden das ganze Jahr über Debatten zu diesem Thema statt, in denen versucht wird, die Frage zu beantworten, wie Franzosen und Bulgaren zur Erneuerung der Union beitragen können.
Zur ersten Diskussionsrunde traf in Bulgarien Dominique Wolton ein. Er leitet die wissenschaftlichen Untersuchungen am französischen Nationalen Zentrum für wissenschaftliche Forschungen auf dem Gebiet der Kommunikationen. Wolton ist ein Experte für Medien, Öffentlichkeit und politische Kommunikation. Er hat die Akademiereihe „Hermes“ ins Leben gerufen und leitet sie auch. Radio Bulgarien gegenüber sagte er folgendes:
„Ich gehöre zu jenen europäischen Intellektuellen, die der Ansicht sind, dass das europäische Projekt die größte friedliebende und demokratische Utopie ist, die die Weltgeschichte geschöpft hat“, meint Dominique Wolton. „Das vereinte Europa ist 60 Jahre alt geworden – das ist gemessen an der Menschheitsgeschichte nur ein kurzer Augenblick, jedoch eine lange Periode im Leben eines einzelnen Menschen. Seit dem Zweiten Weltkrieg bestehen zwei große politische Projekte. Das sind die UNO – die einzige politische Grammatik, die für die Europäische Union absolut notwendig ist, und die Union selbst. Die Europäer sind wahre Masochisten, indem sie die wohl größte politische, demokratische und friedliebende Utopie in Angriff genommen haben. Mit der Zeit gesellten sich immer mehr Länder hinzu – wir waren 6, dann 15, schließlich 28 und warum sollten es nicht mehr werden?! Das ist etwas absolut Neues in der Menschheitsgeschichte und wir sind keinen Deut stolz darauf. Aller zwei Jahre verkünden wir Europäer den Tod Europas. Wir müssen uns aber dessen entsinnen, dass die Größe und die Schaffung Europas zwei Ideen zu verdanken ist. Erstens: Nie mehr Krieg zwischen uns. Im 20. Jahrhundert haben wir rund 100 Millionen Opfer gegeben. Ich bekomme eine Gänsehaut, wenn ich das sage... Genannt sei zweitens der Kampf gegen den Kommunismus – 1990 war sein Ende gekommen. Das Genie der Europäer beschloss, das europäische Projekt auf der Grundlage von Demokratie und Erweiterung fortzusetzen. Und anstatt zu sagen, dass wir den Kampf gewonnen, die Grundlagen der Demokratie gefestigt und mit der Erweiterung begonnen haben, vergießen wir Tränen. Ja, natürlich gibt es kleine und arme, große und reiche Länder; es gibt aber auch das Prinzip der Solidarität, das beispielgebend für Europa ist“, sagt Dominique Wolton.
In Europa leben insgesamt 500 Millionen Menschen, es werden 26 verschiedene Sprachen gesprochen, es herrscht eine Fülle an Geschichte, Kultur, Wissenschaft und Technologien und obwohl es auch Probleme gibt, müssen wir es lernen, gemeinsam zu leben. Schaffen wir das, oder wird es eine Spaltung in ein „Europa der zwei Geschwindigkeiten“ geben?
„Das Genie Europas als politisches Zukunftsprojekt wird im Zusammenleben großer und kleiner Länder bestehen“, antwortet Dominique Wolton. „Es wäre ein tragischer Fehler, Europa auf zwei Geschwindigkeiten laufen zu lassen. Es wäre heuchlerisch gegenüber den Schwachen, von einem Europa der Mächtigen zu reden. Die kleinen Völker sind nicht minder bedeutsam, wie die großen. Ich möchte an dieser Stelle an die Erklärung der UNESCO erinnern, die 2012 in Paris unterzeichnet wurde. Darin wird die Gleichstellung der Sprachen, Kulturen und Religionen auf internationaler Ebene anerkannt. In keinem Land wird das ernst genommen, doch diese Idee gibt es. Wenn wir Europa und die Idee des friedlichen Zusammenlebens retten wollen, müssen wir sagen, dass es in Europa kleine, mittlere und große Nationen gibt und alle gleichermaßen benötigt werden. Welches Volk auch immer – es trägt seine Intelligenz mittels seiner Geschichte. Und darin ist die Genialität begründet“, hebt Dominique Wolton hervor.
Er lenkte ferner die Aufmerksamkeit auf die sprachliche Kommunikation. Sie dürfe seiner Ansicht nach nicht aus 300 Wörtern auf Englisch bestehen, sondern sich auf der Entwicklung der Übersetzungstätigkeit gründen. Europa solle zur Heimat der Übersetzungs-Industrie werden. Auch sollen viele Projekte in Wissenschaft, Transport, Tourismus und Technik erstellt werden. „Wir Europäer müssen uns darüber im Klaren sein, dass sich die Globalisierung und der Informationsfluss sehr schnell entwickeln. Wir dürfen aber die Kommunikation nicht unterbewerten – sie ist sehr wichtig für uns. Sobald wir in Europa aufhören, uns gegenseitig zu achten und gemeinsam zu kommunizieren, wird das Ende der Europäischen Familie eintreten!“ sagte uns abschließend Dominique Wolton vom französischen Nationalen Zentrum für wissenschaftliche Forschungen auf dem Gebiet der Kommunikationen.
Übersetzung: Wladimir Wladimirow
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