Bettenburgen mit exotischen Namen, dröhnende Musik aus den Diskotheken und dicht aneinander gedrängte Pauschalreisende am Strand – mit diesem Bild wird die bulgarische Schwarzmeerküste assoziiert. Doch, die knapp 400 km lange Küste im Osten Bulgariens hat auch versteckte Schätze zu bieten.
Wer eine All-inclusiv-Reise zum Sonnenstrand an der bulgarischen Schwarzmeerküste gebucht hat, ist wahrscheinlich ein Partygänger auf der Suche nach der neuen Ballermann-Hochburg, wo er für wenig Geld die Sau so richtig rauslassen kann. Wer proletenhaft zwei Wochen lang durchtrinken will, ist am Sonnenstrand genau richtig.
Genau falsch ist diese Art von Sommerferien für viele eingefleischte Camper, die trotz der Zubetonierung der bulgarischen Küste freie Plätzchen finden, um ihre Zelte aufzuschlagen. Genauso, wie es ihre Eltern und zuweilen Großeltern schon mal getan haben. Mia Jotowa wird bald 17 und hat ihren ersten Sommerurlaub ohne Elternaufsicht gerade hinter sich. Mit Freunden ging es – wie kann es anders sein – an einen der wenigen übrig gebliebenen Campingplätze an der Schwarzmeerküste. Etwa 70 Kilometer südlich von Burgas befindet sich Arapja, eine inzwischen fast komplett mit Hotels und Gaststätten zugebaute paradiesische Bucht, wo man immer noch mit Wohnwagen und Zelt die Seele so richtig baumeln lassen kann.
„An diesem Campingplatz habe ich laufen gelernt“, sagt Mia Jotowa. „Für mich ist zelten viel angenehmer, als zwei Wochen im Hotel zu verbringen. Am Campingplatz fühlt man sich frei, man lernt die kleinen Dinge zu schätzen. Ein Freund von mir hatte mal den Spruch gebracht, lieber hätte er die Sterne am Hotel, als über seinem Kopf. Er kann mir nur leidtun, denn er wird nie spüren, wie schön es ist, am Strand zu sitzen und den nächtlichen Sternenhimmel zu sehen. Und überhaupt – warum soll man im Sommer die Stadt verlassen, um sich wieder zwischen vier Wände einzusperren, nur eben am Meer?“
Mia Jotowas Großeltern waren mit die ersten, die in dieser wunderschönen Bucht mit kristallklarem Wasser und feinen Sand gezeltet haben. Das war 1962. Seitdem verbrachten die Großeltern und die Eltern von Mia Jotowa Sommer für Sommer, über 40 Jahre lang, ihren Sommerurlaub am Campingplatz Arapja. Großmutter Ekaterina erinnert sich:
„Als wir ankamen, gab es nicht einmal Fußspuren im Sand“ schwärmt die heute 77-Jährige. „Wir haben unsere 5-6 Zelte aufgeschlagen, die wir selbst genäht hatten. Die Mahlzeit erübrigte sich mit Fisch, aber das hat am Feuer selbst zubereitet so gut geschmeckt, dass wir uns nie satt essen konnten. Das Meer war damals so sauber, dass wir nicht nur die Teller im Meer gespült haben, sondern auch morgens die Zähne darin gewaschen haben.“
Davon würden Eltern heute abraten. Und überhaupt – Eltern wissen, wie schwierig es ist, die eignen Kinder in den Urlaub mitzunehmen, wenn es dort kein Wlan gibt… Ohne die Bequemlichkeiten des modernen Alltags hat aber Oma Ekaterina es geschafft, die Liebe ihrer Kinder und Enkelkinder für diese naturnahe Art der Sommerferien weiterzugeben. Sie hat nie daran gedacht, den Urlaub in den damals heiß geliebten betriebseigenen Erholungsheimen zu verbringen.
„Wer will schon den Urlaub mit seinen Arbeitskollegen verbringen“, lacht Ekaterina Dimitrowa. „Außerdem haben wir und unsere Freunde damals die Abgeschiedenheit gesucht… und gefunden. Viele Bekannte wunderten sich, wie man den Urlaub freiwillig so primitiv verbringen kann, dazu noch mit Kindern. Aber eben, als unsere Kinder klein waren, haben wir umso mehr das Zelten geschätzt – die Kinder gingen abends im Zelt zu Bett, und wir konnten dann in aller Ruhe vor dem Zelt am Strand beim Gläschen Wein, Kerzenlicht und angenehmen Gesprächen den Tag ausklingeln lassen. Die Kinder ihrerseits waren untereinander befreundet, haben sich den ganzen Tag getummelt und gespielt, wir organisierten für sie Karnevalsumzüge und Expeditionen zur nächsten Bucht. Es war einfach eine sehr schöne Zeit, die man in einem Ferienort nicht haben kann“, sagt Ekaterina Dimitrowa.
Dieses Gefühl von Schwerelosigkeit und die Sucht nach sorgenlosen Tagen am Strand hat sie ihren beiden Kindern weiter gegeben, die bis heute noch campen. Zu dieser Zwischengeneration von Kindern, die ihre Ferien mit den Eltern und Freunden am Zeltplatz verbrachten, gehört auch die Deutschlehrerin Iliana Georgiewa – selbst Kind von Campern und Mutter von einer überzeugten Camperin. Die ersten Versuche der späteren Deutschlehrerin in der deutschen Sprache waren übrigens im zarten Grundschulalter mit den gleichaltrigen Campingurlaubern aus der ehemaligen DDR eben auf dem Zeltplatz Arapja.
„Damals, vor gut 30 Jahren, kamen sehr viele Familien aus der ehemaligen DDR“, erinnert sich Iliana Georgiewa. „Sie reisten mit vollbepackten Trabis, meist Kombi, an. Ihre Zelte und die gesamte Ausrüstung waren für uns atemberaubend, so etwas gab es in Bulgarien damals nicht: Zelte, Gaskocher, Stühle, Tische – alles so toll, dass es für die Bulgaren eine Frage der Ehre war, die gesamte Campingausrüstung den Deutschen abzukaufen. Sie waren auch froh darüber, weil sie dann mit leerem Kofferraum die lange Reise zurück antreten konnten“, erzählt Iliana Georgiewa. Und erinnert sich:
„Es kam aber vor, dass ganze Familien von Arapja aus über die Türkei – keine 30 Kilometer entfernt, ausgewandert sind“, erzählt Iliana Georgiewa weiter. „Morgens fanden wir leere Zelte und Trabis vor. Von einigen wissen wir, dass sie es geschafft haben, von anderen wiederum, dass sie gefasst wurden. Es war Mitte der 1970er oder Anfang der 1980er Jahre. Über die, die es geschafft hatten, freuten wir uns sehr – sie hatten das System bezwungen. Der Campingplatz Arapja gehörte damals zur stark bewachten Grenzzone. Abends patrouillierten Grenzsoldaten. Für uns, Kinder, war es sehr interessant, wie sie sich mit voller Kampfausrüstung durch den Sand kämpfen, während wir uns noch halbnackt im Sand tummeln. Heute gibt es keine deutschen Urlauber mehr in Arapja. Das ist aber verständlich – nach dem Mauerfall haben sich für sie neue Möglichkeiten eröffnet. Es ist nicht mehr so, wie früher, als die DDR-Bürger nur an die bulgarische Schwarzmeerküste fahren durften, wenn überhaupt“, sagte abschließend Iliana Georgiewa.
Die Campingzeiten sind dabei, von der bulgarischen Schwarzmeerküste endgültig zu verschwinden. Und mit ihnen auch die manchmal lauten Camper. Die zugebaute bulgarische Küste hat sie in das benachbarte Griechenland verjagt, wo man seine Zelte noch auf dem Strand in Wassernähe aufschlagen und die Zeit vergessen kann.
Fotos: Dimitar Stantschew und Vessela Vladkova