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Der „Erste Gesangsverein“ – Grundstein des Operntheaters in Sofia

Erster bulgarischer Gesangsverein "Uspech" auf einem seiner traditionellen Ausflüge im damaligen Dorf Knjaschewo; Ilija Tscherkesow mit Feil gekennzeichnet; Aufnahme von 1897/98.
Foto: Archiv
Die Anfänge des neuzeitlichen Theaters in Bulgarien sind gegen Ende der Türkenzeit zu finden. Die ersten, damals noch von Laien veranstalteten Theateraufführungen fanden 1856 in den Städten Schumen und Lom statt. Das war schon ein großes Ereignis, denn Bulgarien befand sich unter Fremdherrschaft und noch dazu unter orientalischer und die Türken, mit Ausnahme des Hofs des Sultans, hatten nichts übrig für derlei europäische Kunst. Allein aus diesem Grund gründete der Schriftsteller und Intellektuelle Dobri Wojnikow 1866 die erste ständige bulgarische Theatertruppe in der rumänischen Stadt Braila, die bereits frei von Türken war.

Erst nach der Befreiung Bulgariens von der türkischen Fremdherrschaft und der Neugründung des bulgarischen Staates 1878 konnte an eine Entwicklung des Theaterwesens in Bulgarien gedacht werden. Als erstes kamen ausländische Theatertruppen, darunter die Operntruppe des Italieners Enrico Massini. Er gab verschiedene Vorstellungen und füllte zu diesem Zweck seine Truppe auch mit Bulgaren auf – einige wirkten als Statisten, andere als Chorsänger.

Darunter war Ilija Tscherkesow, der auch solistisch auftrat. Die Sternsstunde des 1876 in Sofia geborenen Opernsängers, Dirigenten und Geigenspielers begann jedoch, als er den unerwartet erkrankten Italiener Guasco ersetzte und damit die Vorstellung rettete. Man gab die Oper Carmen und da man wusste, dass Ilija Tscherkesow viele der Opernpartien auswendig konnte, wurde er schnell in das Kostüm gesteckt und erschien als Don Jose auf der Bühne. Das Publikum merkte nichts und war sogar sehr angetan von dem vermeintlichen „neuen Italiener“. Es folgte weitere Auftritte von Ilija Tscherkesow. Er ging jedoch in die bulgarische Geschichte mit der Gründung des „Ersten bulgarischen Gesangsvereins Uspech“ (Uspech - zu Deutsch „Erfolg“) ein, dessen erster Dirigent er wurde. Anfang der 90er Jahre des 19. Jahrhunderts setzte er zusammen mit Gesangsfreunden den Grundstein dafür in Sofia.

© Foto: Archiv

Gründer des „Ersten bulgarischen Gesangsvereins Uspech“: 1. Ilija Tscherkesow, 2. Ilija Bentschew, 3. Alexander Wladikow, 4. Gradinarow

Bis dahin war Tscherkesow Dirigent des Chores der hauptstädtischen Nikolauskirche. Das Schicksal wollte es jedoch und er verstarb bereits 1912 (im Alter von 36 Jahren) - inmitten seiner Karriere. Musik und Gesang waren jedoch nicht sein einziges Betätigungsfeld gewesen. Dank seiner gutbürgerlichen Abstammung konnte er sich die Beschäftigung mit damals für bulgarische Verhältnisse neuen Dinge leisten, wie die Photographie. Jahre hindurch betrieb er ein eigenes Photoatelier in Sofia und war einer der Ersten in Bulgarien, der Stereoaufnahmen machte.

Der „Erste bulgarische Gesangsverein Uspech“ stellte in seinen Anfangsjahren vor allem Kirchenlieder und Opernmusik vor. Unter anderen auch Ausschnitte aus der ersten bulgarischen Oper „Siromachkinja“ (zu Deutsch „Die arme Frau“) von Emanuil Manolow. Das Libretto dazu war nach dem gleichnamigen Werk des Nationalschriftstellers Iwan Wasow entstanden. Die Oper blieb aber unvollendet und wurde zuerst nicht in der Hauptstadt, sondern in Kasanlyk in Mittelbulgarien gegeben. Das erste vollendete bulgarische Opernwerk, „Kamen und Zena“ entstand erneut nach einem Libretto von Iwan Wasow. Der Komponist war diesmal Iwan Iwanow aus Swischtow. Das zeigt, dass man nicht nur in der Hauptstadt in Punkto Oper aktiv war.

Der Anfang des bulgarischen Operntheaters war nicht einfach, doch bereits wenige Jahrzehnte nach der Neugründung des Staates gab es in Sofia bereits eine Operntruppe, die Teil der „Hauptstädtischen Schauspiel und Operntruppe war“. Auf den Spielplänen standen 12 ganze Opern sowie einzelne Ausschnitte aus 11 weiteren Opern. Zu den Sängern gehörten sowohl Bulgaren, als auch Tschechen und Italiener. Die Opern erklangen entweder mit Klavierbegleitung, oder es spielten dazu das Gardeorchester, oder das Orchester des 6. Infanterieregiments. Die Chorpartien übernahm der Italienische Gesangsverein. Das war ein sehr guter Anfang und der Erfolg blieb auch nicht aus. Später trennten sich die Truppen vollständig und es gab eine eigenständige Schauspieltruppe, die sich „Lachen und Weinen“ nannte und eine „Hauptstädtische bulgarische Oper“.

Probleme gab es natürlich auch, denn noch besaßen beide keine eigenen Häuser. In Sofia mussten sich die Opern- und Schauspieltruppen lange Jahre damit begnügen, entweder in einem aus Holz errichteten Theater zu spielen, an dessen Stelle später das Stadtkasino entstand, oder im Militärklub Vorstellungen zu geben.

Das Holztheater selbst hat eine interessante Geschichte. Errichtet wurde es 1887 von dem japanische Akrobaten „Kamtschik“. Mitglieder seiner (aus Bulgaren bestehenden Truppe) haben später die Schauspieltruppe des Volkstheaters gegründet. Das ist recht kurios, aber so schwer auch die Anfänge der bulgarischen Theaterkunst waren, es sollte in den darauffolgenden Jahrzehnten nicht viel einfacher werden. Bekanntlich kann sich Kultur nur schwer selbständig über Wasser halten und so wurde der Opernbetrieb auf Grund fehlender staatlicher Stützung bereits wenige Jahre nach dem Beginn eingestellt. Das Publikum und die Intelligenz des Landes waren nicht gerade begeistert und es wurden harte Diskussionen geführt, ob Bulgarien eine eigene Oper haben sollte oder nicht. Ausländische Truppen kamen ja regelmäßig und gaben ihre Vorstellungen hier; zudem verfügten sie über lange Erfahrungen, die die heimischen Opernkünstler und Regisseure nicht aufweisen konnten. 1908 erschien in der Zeitung „Tag“ ein spitzer Artikel, in dem es u.a. hieß: „Mehr Selbstvertrauen, die Herrn Pessimisten! Und mehr Achtung gegenüber den Musikkünstlern, die sich voll und ganz einer Sache verschrieben haben, die zum Stolze Bulgariens gereichen wird!“ Diese Worte waren eine Prophezeiung, denn heute sind die bulgarischen Opernkünstler in aller Welt berühmt. Die Opernanhänger in Bulgarien siegten damals schließlich und am 18. Oktober 1908 gab die Vereinigung „Bulgarische Opernfreundschaft“ die erste Vorstellung. Im gleichen Jahr wurde ein eigener Chor gebildet und im Jahr darauf gab es schon den ersten regulären Opernspielplan. Das geschah nach der Einweihung des Theatergebäudes in Sofia.

Das bulgarische Parlament hatte bereits im Jahre 1898 einen Beschluss über den Bau eines Theatergebäudes in der Hauptstadt Sofia gefasst. Es wurde ein Ausschreiben ausgerufen und die Wahl fiel auf das in jenen Jahren berühmte Wiener Architekturbüro Fellner & Helmer. Die Errichtung wurde sofort in Angriff genommen und in den Jahren um die Wende zum 20. Jahrhundert erfolgte der Bau selbst, der ohne sonderliche Probleme vonstatten ging. Die feierliche Eröffnung des Sofioter Theaters fand am 3. Januar 1907 statt.

Heute wird das Gebäude einzig als Schauspielhaus genutzt, nachdem bereits 1953 das Opern- und Balletttheater in ein neues Haus umzog. Die Musen trennten sich – glücklich vereint sind sie einzig nur noch am Giebel und der Deckenmalerei im Hauptfoyer zu sehen.
По публикацията работи: Wladimir Wladimirow


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