Man nehme acht Zutaten – 84 blaue, 39 rote, 38 lila, 23 dunkelblaue, 19 orange, 15 hellblaue, 11 braune und 11 rosa, wirft sie einen Sonntag lang in einen Topf und lässt sie bei 240 Grad vier Jahre lang vor sich hin schmoren. Obwohl vier Jahre eine viel zu lange Kochzeit sind – das Essen brennt vermutlich nach wenigen Monaten an. Fertig ist das Türlü-Güveç. Ein Türlü-Güveç ist eigentlich ein schmackhafter Gemüse-Auflauf. Am letzten Sonntag hat ihn jedoch Bulgarien zu einem Allerlei-Auflauf aus Essensresten degradiert.
So bunt und fragmentiert war das bulgarische Parlament seit der Wende noch nie. So desillusioniert und politikverdrossen waren die Bulgaren seit der Wende auch noch nie. So treu hat das Parlament die bulgarische Gesellschaft noch nie wiedergegeben. Im Gegensatz zu vorigen Wahlen sind diesmal bei der Umverteilung der Mandate kaum Stimmen verloren gegangen. Und dennoch steht Bulgarien vor einem Rätsel – wie soll aus dieser Allerlei-Präsenz im Parlament eine Regierung gebildet werden? Erst an zweiter Stelle fragt man sich, ob sie auch stabil sein wird.
Die bürgerliche GERB des Macho-Möchtegern-Ministerpräsidenten Bojko Borissow wollte allein regieren und das Land aus der Sackgasse führen. Doch, die Wähler zogen dem charmanten und volksnahen Liebling der Nation einen Strich durch die Rechnung – Borissow braucht nicht einen, sondern mindestens zwei Koalitionspartner. Seine erste Wahl, der Reformblock, hat ihn wiederum enttäuscht. Das nach den Regierungsprotesten im letzten Sommer zusammengewürfelte Bündnis wird sich vermutlich spalten, noch bevor sich das neue Parlament konstituiert. Gestritten wird, wer Regierungschef wird. Borissow habe nicht ausreichend Reformwillen, dröhnt es aus der einen Seite des Reformblocks, während die andere hinter vorgehaltener Hand bereits mit Ministerposten liebäugelt. Und der vermutliche Dritte im Bunde – die Patriotische Front, ist seit dem Wahltag in jeder publizistischen Fernsehsendung präsent und bietet sich an, das Zünglein an der Waage zu spielen.
Diese Rolle hat sich aber die Türkenpartei DPS bereits seit der Wende unter den Nagel gerissen und wird sie nicht so einfach abgeben. Braucht sie auch nicht – sie ist nämlich die einzige Partei, die kontinuierlich Zugewinne verzeichnet. Zwar durch massiven Stimmenkauf, aber am Ende hat es sich für sie gerechnet, denn die DPS wäre beinah zweitstärkste Parlamentskraft geworden. DPS-Chef Ljutwi Mestan hat es mehrfach betont, aber niemand wollte es so recht glauben: seine Partei ist ein unausweichlicher Faktor in der bulgarischen Politik. Die nächste Regierung liefert den Beweis – sie wird es einfach nicht geben können, wenn die DPS sie nicht zumindest indirekt im Parlament unterstützt.
Der Wahlausgang, oder die Sackgasse, in der sich Bulgarien festgefahren hat, dürfte keine Überraschung sein. Schlaumeier Borissow hat sich selbst ausgetrickst. Als er im Februar vergangenen Jahres zurückgetreten ist, rechnete er fest mit einem grandiosen Comeback in seiner Lieblingsrolle – als Retter der Nation, natürlich. Bei den anschließenden Parlamentswahlen kam es aber anders – die Pattsituation im alten Parlament schleuderte ihn in die Ecke und seine GERB-Partei blieb in der Isolation, auch wenn sie die Wahl eigentlich gewonnen hatte.
Am vergangenen Sonntag hat die GERB wieder gewonnen, und zwar deutlich vor den verfeindeten und verhassten Sozialisten. Borissow wird aber wieder nicht allein regieren können. Die Abstrafung am Wahltag kam auch deshalb, weil Borissow es nicht gewagt hat, zuzugeben, dass er auf die Unterstützung der Türkenpartei angewiesen ist. Nicht einmal die klare Aussage von Freitag, er werde mit der DPS unter keiner Bedingung zusammen regieren, will ihm niemand so recht glauben. Denn die Realitäten in Bulgarien sind seit Jahren anders. Die DPS ist mit ihren Seilschaften zur Wirtschaft der unausweichliche Faktor in der bulgarischen Politik. Solche Verquickungen zwischen Politik und Wirtschaft haben ihren Namen – Mafia. Dagegen haben Tausende letzten Sommer monatelang protestiert und sind heute nur noch enttäuscht. „Protestwahl“ haben die politischen Beobachter die Parlamentswahlen genannt. Die Bulgaren haben aus purer Verzweiflung neue Retter der Nation gewählt, wie den ideologielosen Populisten Barekow mit seiner Nonsens-Partei „Bulgarien ohne Zensur“ oder gleich die Nationalisten von Ataka, die die Rückkehr des Kommunismus herbeischwören. Viel mehr sind jedoch jene, die sich erst gar nicht die Mühe gemacht haben, zu den Urnen zu gehen. Jeder zweite Wahlberechtigte blieb am vergangenen Sonntag zu Hause, weil er von der Politik angeekelt ist, und weil er keinen Ausweg sieht. Um die Stimmen der Frustrierten kämpft hier niemand. Und wenn die Angeekelten nicht wählen gehen, regieren die Ekelerregenden.
*Ein ursprünglich aus der türkischen Küche stammendes Gericht, Gemüse-Auflauf
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