"Wir glaubten, dass eine andere Welt möglich ist, und, dass wir eine eigene, andere studentische Republik schaffen, und nicht eine politische Alternative, einen weiteren Messias der Welt bieten, sondern mehr - eine Lebensalternative." Das schreibt einer der Anführer der Besetzung der Sofioter Kliment-Ochridski-Universität vor einem Jahr Iwajlo Dinew in seinem gerade erschienenen Buch "Wir sind an der Reihe". Dieser radikale Protest wurde zum Anlass zu behaupten, dass die bulgarische Jugend, die in den letzten Jahren für apathisch gehalten wurde, erwacht sei. Deswegen wurden die Uni-Besetzer von ihren Sympathisanten "die Frühaufsteher" genannt.
Die Besetzung der ältesten und größten bulgarischen Hochschule war die Rebellion der Kinder der Systemtransformation, sagt Iwajlo Dinew, die gegen die Wirklichkeit nach dem Ende des Kommunismus in Bulgarien aufgestanden sind. Viele von uns hatten ein hartes Leben, mit schweren Erkrankungen zuhause, arbeitslosen Eltern oder wuchsen bei Omas und Opas auf, während ihre Eltern im Ausland arbeiteten. Eine Welt der sich vertiefenden sozialen Ungerechtigkeit, die ganz anders als das Ideal der Demokratie ist, für die unsere Eltern früher auf die Strassen gingen. Die Helden der Zeit, in der die heute 25jährigen aufwuchsen, waren nicht die Kämpfer für wahre Demokratie, sondern die kriminellen und halbkriminellen neuen Unternehmer, die ihre Interessen mit körperlicher Gewalt durchsetzten und Reichtum sammelten.
"Erfolgreich in unserem Land waren entweder diejenigen, die eine politische Unterstützung hatten, oder jene, die ihre Rechte mit physischer Gewalt durchsetzten. Und trotz des bulgarischen EU-Beitritts blieben die Armen arm und die Reichen wurden immer reicher. Die Korruption, die es überall gibt, die Helden der Halbwelt mit komischen Gemüse-Spitznamen empören uns. Sie waren erfolgreich und nicht die intelligenten, hart arbeitenden. Das war meiner Meinung nach eine neue Zeit der Straßenräuber in Bulgarien. Die erste solche Zeit gab es im osmanischen Reich als sich überall Banditen vereinten, um Städte und Dörfer zu plündern. Damals vereinten sich gegen sie Bulgaren und Türken und bauten Festungen, um sich vor ihnen zu schützen. Unsere Reaktion war ähnlich. Unserer Rebellion war gegen die Systemtransformation und ihre "Helden" gerichtet, gegen die Parteien, die in den letzten 25 Jahren an der Macht waren."
Denn die Jugend, die Studenten müssen laut Iwajlo Dinew das Immunsystem des öffentlichen Körpers sein, dass die entstehenden Krebsgeschwüre bekämpfen muss.
"Unsere Generation vereinigte sich zum ersten Mal um eine Sache und diese Sache war emotional und nicht ideologisch", behauptet er. "Wir mussten die Ideologien, die Teilung überwinden und allgemeinmenschlich sprechen, darüber, was über allem ist. Es stimmt, dass unsere Rebellion idealistisch ist, sie wird ihre Ziele kaum erreichen, denn es sind zu hohe Ziele. Aber man kann die Welt auch nicht ändern, indem man sagt, dass sie nicht zu ändern ist. Ja, mit einer Besetzung wird das nicht geschehen, es geht nicht auf einmal. Aber es ist ein Ereignis, das uns erlaubt die revolutionären Werte, wie Solidarität, Freiheit, Verantwortung als eigene und Zukunftsentwürfe anzuerkennen."
Iwajlo Dinew versucht in seinem Buch die Universitätsbesetzung in die Folge von ähnliche studentischen Aktionen seit 1968, die antikommunistischen Proteste 1997 in Bulgarien, den arabischen Frühling und die Occupy-Bewegung einzureihen. Die mehrere Monate dauernde Besetzung der Sofioter Kliment-Ochridski-Universität hat ihm zufolge ihren Teilnehmern erlaubt, wertvolle Erfahrung zu gewinnen und ihr Bürgerbewustsein zu entwickeln.
"Die Besetzung war meiner Meinung nach ein lokales Beispiel einer revolutionären Institution, die man als ein Zukunftsprojekt ansehen kann," meint Iwajlo Dinew. "Jeder hatte bei uns das Recht Vorschläge zu machen, zu diskutieren und abzustimmen. Manchmal tagten wir 14 Stunden lang und am Ende kamen wir zu einer Entscheidung, die ganz legitim war. Ich lernte aus Erfahrung, dass die direkte Demokratie kein so großes Risiko darstellt. Und die Menschen, die daran beteiligt sind, wachsen als Bürger Tag für Tag, langsam, aber sicher. Deswegen glaube ich, dass falls wir in Bulgarien öfter Volksbefragungen und andere Formen der direkten Beteiligung der Mehrheit an der Entscheidungsfindung veranstalten, wir schneller ein Bewusstein als Volk entwickeln werden."
Die Teilnehmer an der Uni-Besetzung sehen als den größten Fehler der Protestbewegung aus dem vergangenen Jahr ihre Unfähigkeit an, die Mehrheit der bulgarischen Bürger einzubeziehen. Es bestehe die Gefahr, dass die Menschen erneut den Glauben an die Wirksamkeit der Proteste verlieren, da auch danach die gleichen Parteien und die Helden der Vergangenheit in das Parlament kamen. Denn aus den Protesten ist keine politische Alternative entstanden. Aber diese Bewegungen erreichten ihr minimales Ziel - eine moralische Korrektur der Politik zu sein. Jeder Machthaber in Bulgarien weiß von nun an, dass bei Missbrauch mit dem öffentlichen Vertrauen die Menschen gegen sie erneut auf die Straße gehen werden.
"Unser Ziel ist revolutionär, aber die Schritte müssen evolutionär sein", meint der Autor des Buches "Wir sind an der Reihe". Und am wichtigsten sei die Bildung einer neuen politischen Kultur der Bulgaren. Und da sei der Platz der Teilnehmer der studentischen Uni-Besetzung - im Bildungssystem für die Bildung der neuen Generationen zu arbeiten.
Übersetzung: Vladimir Daskalov
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