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Wende ohne Ende

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Foto: Archiv

Am 9. November vor 25 Jahren haben die Berliner die verhasste Mauer zu Fall gebracht. Ein Symbol des geteilten Deutschlands und des geteilten Europas. Eine Grenze zwischen zwei Welten. Sie haben sie abgebaut – mit Hammer und Hacken, Stein für Stein. Der spontane Ansturm auf die Mauer kaum an diesem Tag überraschend, nicht aber der Zerfall des Arbeiter- und Bauernstaates. Monate lang haben Tausende Ostdeutsche in Berlin, Leipzig, Dresden und Rostock protestiert. Ihre Zahl wurde von Tag zu Tag größer, und ihre Forderungen mutiger: Reisefreiheit, freie Wahlen, Systemwechsel. Und er kam – ein Jahr nach dem Mauerfall mit der Wiedervereinigung Deutschlands.

In Bulgarien war man vom Mauerfall überrascht. Um so überraschter waren wir am 10. November. Nur einen Tag nach dem Mauerfall fiel auch Todor Schwikow. Ein innerparteilicher Putsch hat den am längsten in Europa regierten kommunistischen Diktator abgesetzt. Wir waren so perplex, dass nicht einmal in der Hauptstadt Freudenrufe zu hören waren. An jenem Freitagabend hatten die Hauptnachrichten im Fernsehen ihre vermutlich bis heute noch höchste Einschaltquote. Die Menschen blieben zu Hause vor dem Fernsehen, suchten den Schutz der eigenen vier Wände, und konnten ihren Augen nicht trauen – nach 35 Jahren im Amt und zu Lebzeiten trat Schiwkow vom höchsten Partei- und Staatsamt zurück. Nur wenige haben so eine Wende erwartet – trotz Glasnost und Perestrojka und trotz der Montagsdemos in der DDR blieb es in Bulgarien ruhig. Selbst die Umweltproteste in Russe und Sofia am Vorabend des 10. November wuchsen zu keinen Massenprotesten heran. Und so verwandelte sich das Datum eines Plenums der kommunistischen Partei in das Symbol der Wende in Bulgarien. Wie das Symbol, so auch die Wende.

Im Herbst `89 kam ein neues Souvenir auf den Markt – ein vollkommen leerer Flakon mit dem Etikett: "Der letzte Hauch des Kommunismus". Schon kurz darauf stellte sich heraus, dass der Kommunismus bei weitem noch nicht seinen letzten Atemzug getan hatte. Noch die ersten freien Parlamentswahlen in Bulgarien wurden von den umbenannten Kommunisten gewonnen. Und trotzdem nehmen wir seitdem an, dass just an jenem 10. November die Demokratie in Bulgarien ausgebrochen ist. Ein Ulk der Umgangssprache – ausbrechen tun meist tragische Ereignisse, wie Krieg, Feuer oder Sturm. Aber auch Gefühle. Folge man der sprachwissenschaftlichen Logik weiter, so brach die Demokratie in Bulgarien erst im trüben Winter 1996/97 aus. Erst dann verlangte das Volk den Systemwechsel. Erst dann gingen die Menschen auf die Straße und hungerten ihre Bürgerrechte buchstäblich aus. Vermutlich ist das der Grund, warum Bulgarien heute an den Mauerfall vor 25 Jahren erinnert, den Jahrestag der Wende aber nicht begeht.



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