Dieser Tage wurden in Europa 25 Jahre seit dem Mauerfall und seit der Einkehr von Freiheit und Demokratie für die Hälfte der Bevölkerung auf dem Alten Kontinent begangen. Hat Bulgarien in dieser Zeit viel oder eher wenig vollbracht? Mit dieser Frage wandten wir uns an den französischen Botschafter in Sofia, Seine Exzellenz Xavier Lapeyre de Cabanes. Das ist sein zweites Mandat in Bulgarien, seine erste Amtszeit hier war zu Beginn der 90er Jahre.
„Bulgarien hat einen langen Weg zurückgelegt“, ist Botschafter de Cabanes überzeugt. „Vor 25 hätte sich kaum jemand träumen lassen, dass Ihr Land heute Mitglied der EU und der NATO sein wird und sich darauf vorbereitet, 2018 den EU-Ratsvorsitz zu übernehmen. Ich will nicht behaupten, dass hier alles in Ordnung sei, aber Bulgarien hat bemerkenswerte Fortschritte gemacht.“
Dessen ungeachtet belegen jüngste Meinungsumfragen, dass unsere Landsleute mit dem bisher Erreichten unzufrieden sind und viele der Vergangenheit nachtrauern.
„Die wichtigste Ursache für diese Nostalgie ist, dass viele über die kommunistische Vergangenheit nicht ausreichend informiert sind“, meint de Cabanes. „Als ich vor 20 Jahren hier weilte, hieß es, man müsse die Seite der Vergangenheit schließen. Zuvor hätte man sie aber lesen sollen. Das wollten die Kommunisten jedoch nicht zulassen. Aus diesem Grund wissen die jungen Leute heutzutage kaum etwas über den Kommunismus und dessen Laster und Verbrechen. Ein weiterer Grund für die Unzufriedenheit ist die Tatsache, dass der Wechsel zur Marktwirtschaft auf eine unvernünftige und chaotische Weise vollzogen wurde. Und selbst wenn irgendwelche Regeln befolgt wurden, wurden sie von Kreisen diktiert, die dem Geheimdienst nahe standen und sich das Wertvollste unter den Nagel gerissen haben. Weder die Justiz noch die Polizei funktionieren auf eine normale Art und Weise. Dafür boomt die Korruption. Kriminelle Gruppierungen wussten diese Desorganisation für sich zu nutzen und haben illegale Besitztümer angehäuft. Das Netzwerk Multigroup von Ilija Pawlow ist zu großer Macht gelangt. All das hat natürlich Enttäuschung unter den Bürgern verursacht.“
Anfang 1989 hat ein denkwürdiges Frühstück zwischen dem französischen Präsidenten François Mitterrand und zwölf bulgarischen Dissidenten stattgefunden, das für moralische Unterstützung gesorgt hat. Ist die Zivilgesellschaft in Bulgarien mittlerweile erstarkt?
„Einst hat das totalitäre Regime alles daran gesetzt, den Zusammenschluss der Menschen zu vereiteln, da er sein Ende bedeutet hätte“, meint der Diplomat. „Nun haben sich die Dinge verändert. Die langanhaltenden Proteste letztes Jahr, die es verhindert haben, dass Deljan Peewski zum Chef der bulgarischen Staatsagentur für nationale Sicherheit DANS ernannt wird, zeugen von der Reaktionsfähigkeit der Gesellschaft. Vielleicht ist die Reaktion der Bürger nicht sehr gut organisiert, aber ihnen ist mittlerweile bewusst geworden, dass sie vereint stark und imstande sind, sich der Führung zu widersetzen.“
Übersetzung: Rossiza Radulowa
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