Im Rahmen der UNO-Toleranzwoche findet heute in Sofia eine Diskussionsrunde über die aktuellen Herausforderungen in Bulgarien statt. Prof. Anna Krastewa vom Zentrum für ethnische, Migrations- und Flüchtlingsstudien bei der Neuen bulgarischen Universität in Sofia ist eine der Organisatorinnen des Forums.
„Im Zeitalter der globalisierten Welt, wenn wir alle buchstäblich in der ganzen Welt Zuhause sind und die visuelle Technik selbst die längsten Distanzen verkürzt, erleben wir auch die Vielfältigkeit dieser bunten Welt“, sagt Prof. Krastewa. „Wir leben mit Menschen verschiedener Konfession, verschiedener Hautfarbe, verschiedenen Ursprungs. All das fordert unsere Toleranz hervor. Das Thema ist schier grenzenlos. Und dennoch wollen wir im Rahmen des Forums versuchen, über Fanatismus und weltlichen Staats zu debattieren. Aber wir werden auch darüber diskutieren, ob nur das Christentum und Europa in dazu beitragen können, dass die Menschen auf der Welt Frieden miteinander schließen. Es geht auch darum, wie die Politik und die Kultur auf diese Herausforderungen reagieren“, sagt Prof. Anna Krastewa.
Angesichts des Terroranschlags auf die Redaktion des Satiremagazins Charlie Hebdo wird es immer wichtiger, über den gesamten Themenkomplex Toleranz, Pressefreiheit und Fanatismus zu diskutieren. Das Forum in Sofia bietet eine andere Perspektive.
„Der Rundtisch will den Schwerpunkt darauf setzen, dass wir uns an das Zusammensein mit Anderen gewöhnen“, sagt die Organisatorin Prof. Anna Krastewa. „Der Anschlag auf Charlie Hebdo hat das Thema noch einmal brisanter gemacht. Heute wird eine ausgesprochen politisierte Diskussion darüber geführt. Wir wollen aber die Aufmerksamkeit auch auf den Dialog lenken und deshalb haben wir namhafte Schriftsteller eingeladen, wie Georgi Gospodinow und Alek Popow. Denn die Kunst kann das Thema sanft heranbringen“, meint Prof. Krastewa.
Die bulgarische Geschichte hat uns beigebracht, mit Menschen verschiedener Glaubensgemeinschaft und Abstammung zusammenzuleben. Nicht zufällig ist, dass Bulgarien die fliehenden Armenier nach dem Völkermord 1915 aufgenommen hat. Nicht zufällig ist auch, dass die bulgarischen Juden vor den KZ in Nazi-Deutschland gerettet worden sind. Heute aber erleben wir eine ungewöhnliche Welle des Unmuts über die syrischen Bürgerkriegsflüchtlinge, die Schutz in Bulgarien suchen. Wie steht es um die traditionelle Toleranz der Bulgaren?
„Es wäre falsch zu behaupten, die Bulgaren von heute sind weniger tolerant, als früher“, sagt Prof. Krastewa. „Andererseits gibt es auch in Bulgarien Menschen, die sich vom Fremdenhass hinreißen lassen. Die Flüchtlingswelle hat unsere Gesellschaft unvorbereitet getroffen. Und stellte uns erneut die Frage, wie tolerant sind wir eigentlich. Die Reaktionen waren diametral unterschiedlich. Zum einen haben rechtsextreme Parteien das humanitäre Problem als eine Bedrohung für die nationale Sicherheit interpretiert. Die Bürgerkriegsflüchtlinge sind für sie, aus welchem Grund auch immer, potentielle Terroristen. Zum anderen aber haben zahlreiche Bürger ganz spontan und aus ihrem tiefsten Inneren aus Hilfsaktionen gestartet und an die Wahrung der Menschenrechte appelliert. Mit dem ersten Hereinbrechen der Flüchtlingswelle hat die Zivilgesellschaft damit die Rolle des Staates übernommen“, sagt Prof. Anna Krastewa.
Übersetzung: Vessela Vladkova
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