Im April vergangenen Jahres meinte der damalige französische Präsident Nicolas Sarkozy, dass der bulgarische Premierminister Bojko Borissow unter allen Politikern Bulgariens den stärksten politischen Selbsterhaltungstrieb besitze. Wie Recht Sarkozy hat, erwies sich erneut wieder. Der Stein, über den Borissow stolperte, erwies sich das Präsidentenveto auf die Wahlgesetznovellen. Borissow stürzte jedoch nicht, obwohl ihn der Koalitionspartner, die Patriotische Front, bedrohte auszusteigen, falls er nachgeben sollte. Damit war die Parlamentsmehrheit gefährdet und obwohl Borissow sich anfänglich mit den Argumenten von Staatspräsident Plewneliew einverstanden erklärte, änderte er nun seine Haltung „im Namen der Rettung der Regierung“ und seine Partei stimmte im Parlament gegen das Veto. Doch das hat seinen Preis, einen hohen zudem.
Staatspräsident Rossen Plewneliew beschuldigte das Parlament, dass es mit diesem Schritt Verfassungsrechten den Rücken zukehre und einen Konfrontationskurs einschlagen würde. Plewneliew kündigte an, das Verfassungsgericht anzurufen. Einer seiner Rechtsberater überspannte sogar den Bogen, indem er in seiner Facebook-Seite schrieb, dass die Parlamentsmehrheit einen „schweren Geistesschaden“ habe, auf ein äußerst niedriges biologisches Niveau gesunken sei und sich nur mit „(Nahrungs)aufnahme und Ausscheidung“ befasse. Eine derart schwere Konfrontation zwischen Präsidialamt und Exekutive und Legislative hat es bislang in Bulgarien noch nicht gegeben.
Die Ablehnung des Präsidentenvetos rief die Unzufriedenheit auch in den Reihen der NGOs hervor. Im bestehenden Protest-Netz wurden Stimmen laut, die einen Rücktritt der Staatsleitung forderten, weil sie „nutzlos“ sei und „gegen die Verfassung kämpfen“ würde.
Nicht einfach haben es die kleinen Koalitionspartner der GERB-Partei, wie der Reformblock, dessen Abgeordnete unter dem Druck der GERB gegen das Präsidentenveto stimmten. Das führt unweigerlich zur Verschärfung der inneren Kontroversen und zu einem Imageverlust unter den Auslandsbulgaren, die mehrheitlich zu seinen Wählern gehören und sich durch die Wahlgesetznovellen in ihren Rechten eingeschränkt fühlen.
Die Entscheidung Borissows hat jedoch nicht nur negative Auswirkungen. Sie war ein Test für die Lebensfähigkeit von dynamischen Parlamentsmehrheiten, nachdem sich auch die ABW-Partei zurückzog. Es zeigte sich, dass die Regierungsmehrheit auch ohne die Stimmen der ABW auskommen kann, indem je nach Fall verschiedene andere Befürworter gefunden werden können. Dies könnte sich als Erfolgsformel erweisen, da im Falle des abgewiesenen Präsidentenvetos sogar die Stimmen der nationalistischen „Attacke“ gewonnen werden konnten, die sich sonst in Opposition befindet.
Die GERB-Partei verleugnet nicht, dass es ihr nur darum ging, ihre Regierung zu retten. Nunmehr sollen die strittigen Novellentexte neu debattiert werden. Dabei wird die Regierungsmehrheit versuchen zu beweisen, dass sie nicht um jeden Preis die Regierung gerettet habe, schon gar nicht um den der Beschneidung der Rechte der Wähler im Ausland.
Die „Vervollkommnung“ des Wahlgesetzes, wie sie von der GERB-Partei, dem Reformblock und der Patriotischen Front angestrebt wird, wird nun eine Fortsetzung erfahren. Es wird erwartet, dass die Einrichtung von bis zu 35 Wahlbüros in jedem Land gestattet wird. Zur Eröffnung eines Wahlbüros werden laut neueren Überlegungen 60 und nicht wie vorgesehen 100 Wahlanträge notwendig sein. Das Verfassungsgericht wird sich seinerseits auch dazu äußern müssen. In 5 Monaten wird es wiederum Präsidentschaftswahlen geben. Die Geschichte mit den Novellen zum Wahlgesetzbuch wird also nicht so schnell enden…
Übersetzung und Redaktion: Wladimir Wladimirow
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