Am 6. November, zeitgleich mit den Präsidentschaftswahlen in Bulgarien, findet auch ein Referendum statt. Gefragt wird nach Änderungen im Wahlgesetz. Die Vorgeschichte dieser Volksbefragung weist auf eine große Begeisterung für diese Art der direkten Demokratie hin. Die Initiative ergriff ein quotenstarker Showmaster, der mit seinen anfänglich sechs Fragen aus der Seele vieler Bürger sprach. Denn durch das Referendum wollte er die Zahl der Parlamentsabgeordneten halbieren, die Online-Abstimmung durchsetzen und die regionalen Polizeichefs direkt wählen lassen. Über diese drei Fragen werden sich die Wahlberechtigten in Bulgarien im Herbst nicht aussprechen dürfen, weil sie vom Verfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt wurden. Geblieben sind drei weitere Fragen über die Einführung der absoluten Mehrheitswahl, die Reduzierung der Parteisubventionen und die Wahlpflicht.
Unabhängig von den Themen des angesetzten Referendums und der zuweilen lautstarken Diskussion für und wider, zeigt die derzeitige Begeisterung für die Volksbefragungen in Bulgarien sehr deutlich, dass das Misstrauen der Bürger gegenüber ihren eigentlichen Vertretern kontinuierlich steigt. Im Parlament, das wir alle vier Jahre wählen, sitzen ja 240 Volksvertreter, die uns repräsentieren und für unsere Interessen eintreten. Doch, seit Jahren führt das Parlament souverän die Liste der Institutionen an, die das geringste Vertrauen in der Bevölkerung genießen. Durch das in Mode gekommene Referendum versucht man nun also, sich die Repräsentanz zurückzuholen. Doch, soziologische Untersuchungen haben weltweit gezeigt, dass dieser Ersatz fehlschlägt. Nicht einmal in der Schweiz, die in Bulgarien gern das Mekka des Referendums genannt wird, ersetzt die Volksbefragung die parlamentarische Repräsentanz. Dort will sie es auch erst gar nicht. Denn eine Volksbefragung macht Sinn, wenn ganz konkrete, bürgernahe Probleme gelöst werden sollen, und dadurch nicht Staatspolitik betrieben werden soll. Und grundsätzlich gilt, dass man kein Muster aus dem Ausland eins zu eins implementieren kann und soll.
Durch mehrere Referenduminitiativen versucht man in Bulgarien in den letzten Jahren einen Wechsel in der politischen Landschaft herbeizuführen, aber ist das Referendum das richtige Mittel dazu? Wohl kaum. Und ein erster großer Stolperstein ist die Formulierung der Fragen, die man den Wählern stellen will. Ein Beispiel aus der jüngsten Referendumvergangenheit Bulgariens: Anfang 2013 wollte man von uns wissen, ob wir die weitere Entwicklung der Atomkraft in Bulgarien durch den Bau eines neuen Atomkraftwerks unterstützen? Dahinter steckte das umstrittene Projekt eines Atomkraftwerkbaus in Belene an der Donau, das immer noch die Gemüter in Bulgarien bewegt. 60 Prozent der Befragten haben mit "ja" votiert. Doch, das bedeutet nicht automatisch, dass sie den Bau des besagten Meilers unterstützen. Und auch die "Nein"-Stimmen bedeuten nicht zwangsweise, dass man sich gegen die Atomkraft ausgesprochen hat. Dreieinhalb Jahre später wissen wir, dass dieses Referendum keine Klarheit über den kontroversen Fall mit dem zweiten Atomkraftwerk in Bulgarien gebracht hat.
In Bulgarien liegt der Hund ganz woanders begraben. Themen, die von den Parteien als Interessenvertreter der verschiedenen Bevölkerungsgruppen eigentlich in den Wahlkampf gehören, werden eben dort selten angeschnitten. So bekommt der Wähler nur in Ausnahmefällen die Möglichkeit, sich ein Bild zu machen und eine informierte Entscheidung zu treffen, bevor er am Stichtag sein Kreuzchen macht. In Wahlkampfzeiten (und nicht nur dann) fehlt die Debatte über die Grundausrichtung der Staatspolitik, die für die einzelnen Parteien im Idealfall unterschiedlich ausfällt. Stattdessen konzentriert sich der Wahlkampf in Bulgarien auf belanglose Eintagsfliegen und oftmals persönliche Auseinandersetzungen, die eine langfristige Politik über eine vierjährige Amtszeit hinaus unmöglich machen.
Ein weiteres Manko der heutigen Politlandschaft in Bulgarien ist, dass die Parteien nur bedingt Interessensvertreter der einzelnen Bevölkerungsschichten sind. Die heute regierende GERB-Partei – übersetzt "Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens" – bezeichnet sich selbst als eine konservative Partei, was in ihrem politischen Kurs nicht immer nachzuvollziehen ist. Und auch die derzeit größte Oppositionspartei, die Sozialisten, sind nicht unbedingt als eine Partei der kleinen Leute zu verstehen. Und so fühlen sich die Wähler verloren und in der großen Politik nicht vertreten. Verständlich, dass man da nach einem Ersatz sucht und sich nach Repräsentanz sehnt. Das Referendum bietet aber nur eine Schein-Repräsentanz. Der Glaube, durch eine Volksbefragung holt man sich als Bürger die Macht von den Politikern zurück, ist trügerisch. Man kann nicht erwarten, dass die Wähler zu allen Themen des öffentlichen Lebens, von Atomkraft bis Wahlgesetz, kompetent entscheiden können. Denn beim Referendum kommt es in der Regel zu einer intuitiven Abstimmung. Und noch etwas – für diese schwerwiegenden Entscheidungen tragen wir, Bürger, keine Verantwortung. Damit bliebe die Gewaltenteilung, dieser Grundstein der demokratischen Staatsordnung, auf der Strecke.
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