Vladimir Nikolov – ein bulgarischer Schriftsteller, Literaturkritiker, Publizist, Journalist, Kulturwissenschaftler und Übersetzer, der unter dem Pseudonym Vladimir Svintila in die Geschichte eingegangen ist, kann ganz zu Recht als eine bemerkenswerte Erscheinung in der bulgarischen Kulturlandschaft des 20. Jahrhunderts eingestuft werden. Seine ins Bulgarische übertragenen Lieder von Robert Burns, Sonette Shakespeares und Stücke von Bernard Shaw gehören bis heute zu den Meisterleistungen der Übersetzungskunst. Im vergangenen Jahr jährte sich sein 90. Geburtstag; Svintila verstarb im Januar 1998 im Alter von 71 Jahren.
In unserem Tonarchiv bewahren wir einige Aufnahmen von Gesprächen auf, in denen er in seinen Erinnerungen kramte:
„Ich lebte in Pantscharewo nahe Sofia; mein Haus befand sich auf einem hohen Hügel“, erinnerte sich Svintila. „Unterhalb des Hauses befand sich ein ausgedehnter Flieder-Wald, in dem die ganze Nacht über Nachtigallen sangen. Ich arbeitete unter dem Einfluss ihrer Lieder. Die Tischlampe beleuchtete nur das weiße Blatt Papier, das vor mir lag. Zu einem Lied verfasste ich acht bis zehn verschiedene Fassungen. In heißen Nächten stieg ich hinunter und badete in den blauen Wassern des Stausees. Um dieses Leben beneiden mich heute die Ökologen. Ich arbeitete aber 12, 14 oder sogar 16 Stunden am Tag. In den Nächten schlenderte ich im Schein des Mondes und übersetze im Kopf die Verse von Burns.“
Den enorm großen Beitrag von Vladimir Svintila erkennen sogar seine Widersacher an:
„Svintila hat einen wichtigen Beitrag in einem Bereich geleistet, der für Bulgarien sehr wichtig war, nämlich die Übersetzung. Er hat sich nachhaltig in verschiedenen Bereichen betätigt. Seine Übersetzungen waren nicht perfekt, sie waren aber das Beste, was es gab und er selbst war der Beste, der sie in Angriff nahm. Und so nimmt Svintila in der Geschichte der bulgarischen Literatur und Kultur einen festen Platz ein. Er war ein sehr großer und wichtiger Literat“, sagte in einer anderen Aufnahme unseres Tonarchivs der 2010 verstorbene Schriftsteller und Kulturwissenschaftler Atanas Slawow, der mit Svintila persönlich verfeindet war.
Vladimir Svintila war ein äußerst gebildeter und überaus belesener Mensch. Er hatte das Italienische Gymnasium in Sofia absolviert, beherrschte aber auch Russisch, Französisch, Deutsch, Spanisch und Englisch. In den Zeiten des Sozialismus wurde er geächtet, da er sich intensiv mit der als „dekadent“ eingestuften Literatur Westeuropas beschäftigte. Aus einem Scheinvorwand (man verdächtigte ihn grundlos der Spionage) wurde er 1949 in ein kommunistisches Konzentrationslager gesteckt, das er mit zerrütteter Gesundheit verließ. Danach studierte er Recht an der Sofioter Universität und arbeitete als Redakteur der Zeitung „Volkskultur“. Svintila wirkte ferner für den Kunstverlag und das Armeetheater sowie einer Reihe von Zeitungen, für die er Kritiken und Essays verfasste. Er schrieb 20 Bücher und erforschte die Traditionen und die Volkspsychologie der Bulgaren. Ignoriert und gepriesen zugleich, passte Svintila nicht ins System. Er besaß die Große eines europäischen Literaten, erreichte jedoch nicht die Gipfel des Ruhmes, weder vor, noch nach der Wende zur Demokratie von 1989.
„Nicht nur Vladimir Svintila ist der Ruhm versagt geblieben“, meint Jawor Gantschew, ein Schüler Svintilas aus dessen letzten Lebensjahren. „Das ist den Besonderheiten des Umfelds in Bulgarien zuzuschreiben, in dem die Intellektuellen wirken, ohne in den Genuss jener Glorie zu kommen, die ihnen in anderen Ländern zugekommen wäre – ganz einfach, weil der Kontext ein anderer ist. Dort ist die Beteiligung der Öffentlichkeit an der Kommunikation mit den Intellektuellen als Publikum und Mitgestalter der Kultur viel intensiver. In Bulgarien wird das intellektuelle Leben von anderen Dingen beherrscht, keinesfalls jedoch von einem aktiven Publikum. Ich denke, dass das an der Passivität unserer Öffentlichkeit liegt.“
Wenn man eines der Werke von Svintila zur Hand nimmt, fällt als erstes sein überaus reicher Wortschatz auf. Seine Veröffentlichungen waren tiefgründig philosophisch und verrieten bemerkenswerte historische Kenntnisse und Beobachtungsgabe. Der Leser wird mit den verschiedensten Themen konfrontiert und zum Nachdenken angeregt: Die Notwendigkeit der Besinnung auf die Wurzeln, Kritik an Erscheinungen der Gegenwart, wie Klientelismus, falsche Moral und die „ausschweifende Wirkung der Bürokratie auf den Geist“ sowie der für die Bulgaren typische Kampf der Individualitäten ums Überleben...
Übersetzung: Wladimir Wladimirow
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