Am Ende des gestrigen Arbeitstages wurde mitgeteilt, dass der Ministerpräsident Bojko Borissow den vom Minister für Arbeit und Soziales Bisser Petkow eingereichten Rücktritt gebilligt habe. Petkow werde laut eigenen Worten nicht mit den Spannungen fertig, die die Forderungen von Eltern behinderter Kinder erzeugt hätten. Die protestierenden Bürger, die im Zentrum Sofias zum Zeichen ihrer Unzufriedenheit ein Zeltlager errichtet hatten, zeigten sich überrascht vom Schritt des Sozialministers. Sie hätten nicht den Rücktritt von Petkow gefordert, sondern nur auf die Verabschiedung des bereits ausgearbeiteten Gesetzes über die persönliche Hilfe gedrängt. In den sozialen Netzen kommentieren die Betroffenen und ihre Freunde, der Rücktritt würde darauf hinweisen, dass der Gesetzentwurf offensichtlich nicht in den Plenarsaal kommen werde. Nunmehr werden „große Protestaktionen mit der Forderung nach Rücktritt der gesamten Regierung organisiert“.
Der Rücktritt von Arbeits- und Sozialminister Bisser Petkow kam nicht nur unerwartet, er wirft auch etliche Fragen auf. Von allen drei Regierungen des Premiers Bojko Borissow ist das der zweite Arbeits- und Sozialminister, der geht. Der erste war Iwajlo Kalfin. Er verließ die Regierung Borissow 2, um an den Präsidentschaftswahlen teilzunehmen. Petkow geht seinerseits mit der Begründung, mit einem Problem nicht fertig werden zu können, das zwar wichtig, jedoch nicht das größte im sozialen Bereich ist. Falls es stimmt, dass Petkow im Gespräch mit den protestierenden Müttern behinderter Kinder Verständnis für ihre Lage gezeigt und sogar Hilfe zur Lösung ihres Problems zugesagt hat, könnten aus seinem Rücktritt gravierende Meinungsverschiedenheiten in der Sozialpolitik der Regierung geschlussfolgert werden.
Bisser Petkow ist ein angesehener Fachmann im sozialen Bereich. Vor seinem Amtsantritt als Minister der Regierung Borissow 3 arbeitete er lange Jahre in verschiedenen sozialen und Finanzeinrichtungen. Er gilt als Experte auf dem Gebiet des Sozialversicherungswesens. 2016 war er das zweite Mal zum Direktor des Nationalen Sozialversicherungsinstituts gewählt worden. Vordem bekleidete er andere hohe Posten, darunter Vorsitzender der Staatlichen Agentur für Versicherungsaufsicht am Ministerrat, Vizevorsitzender des Ausschusses für Finanzaufsicht und Leiter der Direktion „Versicherungsaufsicht“. Leute mit derart großen Erfahrungen handeln rational und lassen sich nicht von Emotionen leiten; auch lassen sie nicht so schnell anvisierte Ziele fallen.
Am selben Tag, an dem Petkows Rücktritt bekannt wurde, erging die Information, dass ab dem 1. Januar kommenden Jahres der monatliche Mindestlohn der Lehrer auf rund 470 Euro steigen werde. Zum Vergleich: der Landesdurchschnitt liegt bei rund 261 Euro. Die Veränderung soll durch den Abschluss eines neuen kollektiven Arbeitsvertrags, unterzeichnet vom Bildungsminister und den Lehrergewerkschaften in Kraft treten. Der Rücktritt des Sozialministers könnte als ein Ausdruck der Enttäuschung über die unausgewogene Großzügigkeit gedeutet werden, zumal die Finanzierung einiger sozial benachteiligter Gruppen der Gesellschaft weiterhin äußerst dürftig ist. Warum sollte der allgemeine Gerechtigkeitssinn der Öffentlichkeit nicht auch einen Minister ergriffen haben?
Die oppositionelle Bulgarische Sozialistische Partei vermutet, dass Petkow als Sündenbock der Regierung herhalten musste, die mit einem Problem nicht zurande kommt, dass im größten Teil Europas gelöst ist. Laut den Sozialisten hänge die Unterstützung für die Mütter behinderter Kinder vor allem vom Finanzministerium und weniger vom Sozialministerium ab. Zur Lösung des Problems müssten die Minister für Finanzen und für Gesundheitswesen und natürlich der Ministerpräsident persönlich dem Sozialminister unter die Arme greifen.
Der Premier hat sich bereits eingemischt, indem er den Rücktritt des Sozialministers gebilligt hat. Es blieb nur noch die Annahme durch das Parlament. Zwischenzeitlich äußerte der Vizepremier Waleri Simeonow vor Journalisten des Bulgarischen Nationalen Rundfunks, dass der Rücktritt von Petkow vorgegriffen und nicht mit ihm abgesprochen worden sei. Die Vorsitzenden der Gewerkschaftszentralen KNSB und „Podkrepa“ drängten ihrerseits in einem Schreiben an Ministerpräsident Borissow, seine Entscheidung zu überdenken und den Rücktritt abzulehnen. Die Öffentlichkeit in Bulgarien wurde unlängst Zeuge einer prekären Lage im Zusammenhang mit dem Rücktritt der Energieministerin Temenuschka Petkowa, die weiterhin im Amt ist. Es war schwer abzuschätzen, wie sich der Fall um den Rücktritt von Bisser Petkow entwickeln wird. Ein Ende der Spekulationen setzte aber Premier Borissow persönlich, der sich aus Izmir zu Wort gemeldet hat: "Ich lasse ihn weiter arbeiten."
Übersetzung und Redaktion: Wladimir Wladimirow
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