Bulgarien besteht weiterhin auf eine diplomatische Lösung der Krise in der Ukraine und bleibt ein loyaler und berechenbarer Partner in der NATO. Führend im bulgarischen Verteidigungssystems wird die nationale Armee sein – bulgarische Truppen, bulgarisches Kommando und bulgarische Militärführung. Das kündigte Premier Kiril Petkow während einer außerordentlichen Sitzung der Volksversammlung an, die im Zusammenhang mit der Ukraine-Krise einberufen wurde.
Die geäußerte Position ist für die Politik Bulgariens als NATO-Mitglied nicht neu, da bis heute die gesamte Ausrüstung, die von unseren Partnern während der Übungen hier verwendet wird, unter dem Kommando der bulgarischen Armee steht. Das sagte in einem Interview für den Bulgarischen Nationalen Rundfunk Milen Keremedtschiew, ehemaliger stellvertretender Minister für Auswärtige Angelegenheiten.„Es ist wichtig darauf hinzuweisen, dass Bulgarien bereit sein wird, ein wachsendes NATO-Kontingent aufzunehmen, was aber im Laufe der Zeit bereits geschehen ist. Letztes Jahr wurde in Bulgarien eine der größten Militärübungen mit über 18.000 Soldaten aus vielen NATO-Staaten durchgeführt. Deshalb sehe ich keine wesentliche Änderung oder Rückzug von den Positionen, die wir seit unserem Beitritt zur Allianz bezogen haben. Bulgarien hat immer versucht, mit allen befreundet zu sein, was in dieser Situation wirklich unmöglich ist. Es besteht ein ernsthafter Antagonismus zwischen den Streitparteien - einerseits Russland und andererseits der NATO-Mitglieder, insbesondere in Europa. Wir müssen unsere Haltung deutlicher zum Ausdruck bringen. Die Zeit der Freundschaft und des sich Kleinmachens ist längst vorbei“, betonte Ex-Außenminister Milen Keremedtschiew.
„Die Lage ist extrem bedenklich, wir dürfen aber nicht in Hysterie verfallen. Der Frieden hat immer noch eine Chance“, kommentierte gegenüber dem BNR Angel Najdenow, ehemaliger Verteidigungsminister:
„Es wäre am besten, wenn es nicht zur Stationierung von Bodentruppen auf bulgarischem Territorium kommt, das sollte aber nicht ausgeschlossen werden. Aus militärtechnischer Sicht sehe ich, dass das Verteidigungsministerium bestimmte Ansichten hat, die nicht auf die dauerhafte Präsenz oder Verlagerung solcher Komponenten abzielen, sondern auf die Teilnahme an gemeinsamen Übungen mit Einheiten der bulgarischen Armee. Man sollte nicht das Gespenst des Krieges heraufbeschwören“, meint Angel Najdenow und weiter: „Es gibt viele verschiedene Szenarien, was die Entwicklung der Krise angeht, wir sollten uns aber auf die Suche nach diplomatischen Lösungen fokussieren.“
Die bulgarische Regierung besteht auf eine Deeskalation der Spannungen. Aber unser Land verfügt nicht über reale Instrumente, um diese Priorität zu erreichen, meint Milen Keremedtschiew. Und erinnert an die Worte von Verteidigungsminister Stefan Janew, dass niemand derzeit beabsichtigt, Bulgarien anzugreifen und auch Bulgarien kein anderes Land angreifen wird. Diese Aussage erfolge im Kontext der Erklärung der USA, dass sie im Falle eines heißen Konflikts in der Ukraine keine Truppen entsenden würden.
Ist es realistisch, eine diplomatische Lösung der Krise zu erzielen?
„Wir können momentan nicht von einer starken Eskalation, das heißt von einem realen Militäreinsatz in Russland sprechen“, sagte Milen Keremedtschiew. „Rein technisch gesehen hat es etwa 120.000-150.000 Soldaten an den Grenzen zur Ukraine und die entsprechende Ausrüstung stationiert, es ist aber unmöglich, damit umfassende Militäroperationen zu beginnen. Die Armee, die derzeit in der Ukraine im Einsatz ist, beträgt 280.000 Militärs und es können sehr schnell genauso viele Reservisten mobilisiert werden.“
Laut Keremedtschiew könnte die Situation in einem Monat aber viel heißer werden, da Russland bereits seine modernsten Waffen nach Weißrussland verlegt, das an die Ukraine grenzt. Im Rahmen einer Großübung sind Landungsschiffe von der Ostsee zum Schwarzen Meer unterwegs. „Die massive Stationierung von russischen Militärtruppen wird in etwa einem Monat enden. Das ist meiner Meinung nach der Grund für die Entscheidung, die Verteidigungsfähigkeiten der NATO-Mitgliedstaaten zu stärken. Dazu gehört auch die Entsendung zusätzlicher Kampfflugzeuge nach Bulgarien aus Spanien und den Niederlanden sowie von Kriegsschiffen aus Spanien. „Die NATO reagiert auf die Aktionen Russlands“, sagte der Analyst.
Obwohl unter den jetzigen Umständen keine reale militärische Bedrohung besteht, ist die Gefahr eines wirtschaftlichen Drucks aufgrund der Energiepreise vorhanden. „Das Säbelrasseln erhöht jedoch den Ölpreis“, unterstrich Milen Keremedtschiew. Welche Maßnahmen könnten ergriffen werden, um die bulgarische Wirtschaft vor den negativen Folgen dieses Konflikts zu schützen?
„Die Auswirkungen können in verschiedene Richtungen gehen, insbesondere in Bezug auf die Energielieferungen“, sagte Angel Najdenow. „Einige Analysten sehen die Gaspipeline durch bulgarisches Territorium als zusätzliche Garantie dafür an, dass Russland sich nicht erlauben wird, die Lieferungen einzustellen. All das muss aber einer Bewertung unterzogen werden und somit auch die Auswirkungen auf die restlichen Wirtschaftssektoren. Natürlich muss ein Plan ausgearbeitet werden, um die negativen Auswirkungen auf die Wirtschafts- und Sozialsysteme in unserem Land nicht nur einzuschätzen, sondern auch zu vermeiden“, so Angel Najdenow abschließend.
Zusammengestellt von: Elena Karkalanowa (nach Interviews von Sneschana Iwanowa und Wesselina Milanowa vom Inlandsprogramm „Horizont“ des BNR)
Übersetzung: Rossiza Radulowa
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