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Die Zusammensetzung des geschäftsführenden Kabinetts und die Logik der politischen Situation in Bulgarien

Foto: BTA-Archiv

Der für das Amt des geschäftsführenden Ministerpräsidenten nominierte Dimitar Glawtchew hat vor wenigen Tagen die Zusammensetzung der geschäftsführenden Regierung vorgestellt, die das Land in den kommenden Monaten bis zu den Wahlen für das nationale und das europäische Parlament am 9. Juni regieren soll. 
Die Namen einiger der Minister, die dieser Regierung angehören sollen, lösten heftige Reaktionen in der Koalition "Wir setzen die Veränderung fort" - "Demokratisches Bulgarien" (PP-DB) aus, die die Beratungsgespäche mit dem Präsidenten verließ, auf der die Zusammensetzung der Regierung bekannt gegeben wurde. 
Es ist wichtig vorab die Frage zu klären, warum es erneut zu einer ausweglosen politischen Situation gekommen ist, die innerhalb von drei Jahren die sechste Parlamentswahl erfordert.

Maria Spirowa
„Für mich kommt die Situation nicht unerwartet“, sagt die in London lebende Journalistin Maria Spirowa in einem Interview für den BNR und erklärt, dass die Logik für die Ereignisse in der Abmachung für die Rotation zu suchen ist. (dass der Premierminister von PP-DB durch einen Premier von GERB abgelöst wird, Anm. d. Red.). 
„Es war klar, dass GERB nicht die Absicht hatte, fair zu spielen, weil sie eine Partei ist, die auf Erfolg ausgerichtet ist. Genau aus diesem Grund ist sie bei einem großen Teil der bulgarischen Gesellschaft beliebt“, sagte Maria Spirowa und stellt klar, dass der Erfolg der GERB an öffentlich sichtbaren Tricks und Spielchen geknüpft ist. „Alle Vereinbarungen, die die Partei GERB in der Vergangenheit mit einem ihrer früheren Partner getroffen hat, waren immer ein Schachspiel, bei dem die GERB nicht nur mit der Dame spielt, sondern gegebenenfalls das Brett umwirft. Diese Partei schert sich nicht um Regeln, die einst mit ihr ausgehandelt wurden. Für GERB ist es wichtig, keine Veränderung der Machtstrukturen zuzulassen. Die vereinbarte Rotation in der Regierung wurde in die Luft gesprengt, um zu verhindern, dass Kalin Stojanow aus dem Innenministerium entfernt wird, und um Änderungen im Gesetz über die Justizgesetz zu verhindern. GERB ist schon so oft an die Macht zurückgekehrt, um die Entwicklung von Gesetzesänderungen zu blockieren. Diese Geschichte wird nicht so bald enden, und was geschehen ist, war unvermeidlich“, ist Maria Spriwowa kategorisch.

Prof. Antoanetta Hristowa
Die Zusammensetzung der geschäftsführenden Regierung komme einer Ohrfeige für die PP gleich. Dass die Koalition die Gespräche beim Präsidenten verlassen hat, schätzt die politischen Psychologin Prof. Antoanetta Hristowa als Schwäche ein. Die Parteien, die sich daran beteiligt haben (alle parlamentarisch vertretenen Parteien außer BSP, im Folgenden auch PP-DB, Anm. d. Red.) seien ein Hinweis, dass sie einer künftigen Regierung nach den Parlamentswahlen die Hand reichen.
Die Aufgaben des nächsten Parlaments werden dringend sein, sagte Prof. Antoanetta Hristowa und bezeichnete die Änderungen des Grundgesetzes als „ungeheuerlich und Verrat am nationalen und öffentlichen Interesse“. 
„Das muss im nächsten Parlament dringend korrigiert werden“, fordert sie und räumt ein, dass das mit einer hohen Wahlbeteiligung und mit der Aktivierung der so genannten Strafabstimmung geschehen könne. Dabei werde die Frage sehr wichtig sein, ob es genügend Alternativen geben wird, die diese Abstrafung der jetzigen parlamentarischen Mehrheit möglich machen wird.
Die politische Psychologin glaubt, dass die Gruppe von Bürgern, die nicht wählen geht und diese, die sich von GEB und PP-DB abgewendet haben, eine solche Strafabstimmung anstreben. „Die Bereitschaft zu einem solchen Schlag gegen die Regierenden ist vorhanden, aber es gibt keine politische Kraft, mit der dieser Schlag realisiert werden könne und das sei ein Problem, sagt die Psychologin.

Dimitar Glawtschew (l.) und Präsident Rumen Radew (05.04.2024)
Präsident Rumen Radew hat dem geschäftsführenden Ministerpräsidenten Dimitar Glawtchew eine Frist bis zum Ende des heutigen Tages gesetzt, um Änderungen an der Zusammensetzung des geschäftsführenden Kabinetts vorzunehmen. Ob es dazu kommen wird und ob sich die parlamentarischen Kräfte beruhigen, bleibt abzuwarten. 
Dimitar Glawtchew selbst erklärte nach der Vorstellung seiner Vorschläge für die einzelnen Ministerposten am Freitag, dass er keine Änderungen vorzunehmen gedenke. Unterdessen bezeichnete der politische Analyst Daniel Smilow die derzeitige Besetzung als eine Regierung gegen die PD-DB.

Daniel Smilow
"In der Praxis wird die Regierung von der Partei GERB dominiert, vertreten ist auch die DPS. Dass es Minister von der PP-DB gibt, stimmt so nicht, weil sie als Experten im Kabinett verbleiben“, betont Daniel Smilow, der auch die Vermutung äußerte, dass sich die Mehrheitsverhältnisse im Parlament in den nächsten Monaten ändern werden. „Es wird sich eine neue Mehrheit um GERB und DPS bilden, mit Hilfe von Abgeordneten der ITN, Wasrazhdane und eventuell von der BSP."
Von außen betrachtet, zeigt die Situation im Land, dass sich Bulgarien in einer permanenten politischen Krise befindet“, betont der ehemalige stellvertretende Ministerpräsident und Minister in zwei Regierungen Iwajlo Kalfin.

Iwajlo Kalfin
„Das Ansehen des Landes als loyaler Partner, auf den man sich verlassen kann, und als ein Land, das seine eigenen Interessen wahrnimmt und vertreten kann, nimmt ab. Die Wahrheit ist, dass das Leben weitergeht, dass es viele Ereignisse in der Welt gibt, die die Reaktion der Länder erfordern. Wir aber sind nur mit uns selbst beschäftigt", entrüstet sich Iwajlo Kalfin, der auf einige der europäischen Themen hinwies, die in unserem Land aufgrund der politischen Instabilität im Hintergrund bleiben.
"Natürlich gibt es einige nationale Besonderheiten, aber die Priorität für alle EU-Bürger bleibt die internationale Lage und der Krieg in der Ukraine", betont Iwajlo Kalfin. „Ein weiteres Thema ist die Frage, wie der Klimawandel bewältigt werden kann. Bulgarien hat ein Interesse daran, sich aktiv an der Lösung dieser Probleme zu beteiligen, denn eine der Ursachen für die hohe Sterblichkeitsrate in Bulgarien ist, wir müssen es in aller Deutlichkeit sagen, die verschmutzte Luft! Bei der Klimapolitik stellt sich die Frage, wie hoch die Kosten sind, wer sie übernimmt, ob es eine klare Strategie gibt, um sie zu steuern und andere solche Fragen."



Der ehemalige Außenminister erinnerte auch daran, dass Bulgarien im Rückstand ist und die zweite Tranche der für das Land im Rahmen des Plans für Wiederaufbau und Nachhaltigkeit vorgesehenen Mittel noch nicht erhalten habe. Das sei ein Thema, das der Staatspräsident während der Beratungsgespräche mit den politischen Kräften im Parlament am 5. April angesprochen und die Hoffnung geäußert habe, dass Bulgarien während der Amtszeit des geschäftsführenden Kabinetts in Bezug auf die zweite Tranche dieses Plans einen Schritt nach vorne machen werde.

Zusammengestellt: Joan Kolew
Übersetzung: Georgetta Janewa



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aktualisiert am 19.06.24 um 14:06