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Der Reisende Martin Grachowski spricht über Bulgarien als Ausgangspunkt für die Welt

Das Leben und die Staatsbürgerschaft in Kanada können seine Bindung an seine Heimat nicht lösen

Foto: Facebook /Martin Grahovski

Reisender, Abenteurer, Dokumentarfilmer und Entdecker von kleinen Gesellschaften und Kulturen, die sich in einer zunehmend globalisierten Welt und unter dem Einfluss der Hochtechnologie ihr Kolorit bewahrt haben - das ist Martin Grachowski, der aufgrund familiärer Umstände schon früh die kanadische Staatsbürgerschaft annahm und den größten Teil seines Lebens in Nordamerika verbrachte. Was Heimat bedeutet, erfährt er jedoch bei jeder Rückkehr nach Bulgarien.

Die Heimat ist nicht nur das Haus seiner Eltern in Sewliewo. Heimat sind auch all die farbenfrohen Bulgaren, die er auf Messen und Festen trifft, darunter auch die älteren Menschen, von denen er lernt, wie man Traditionen schätzt und bewahrt.

Martin Grachowski studiert jetzt internationales Recht, und er hat schon fast die halbe Welt bereist, um das Leben an abgelegenen und wenig bekannten Orten der Erde zu dokumentieren.

Japan

Noch während seines Studiums in den Niederlanden organisierte der Bulgare eigenständig Reisen nach Japan und Nepal. Es folgten Laos, Kambodscha, Vietnam, Ghana und Thailand. Er nahm an verschiedenen Projekten zu Studienzwecken teil und schaffte es, das Lernen für Prüfungen mit dem Drehen von Dokumentarfilmen in Asien und Afrika zu verbinden.

Er sagt, er fühle sich zum Film und zur Fotografie berufen und glaube nicht, dass er mit seinem Jurastudium eines Tages in einer Kanzlei arbeiten werde. Also beschloss er als Student, eine andere, kreativere Beschäftigung zu finden, und engagierte sich bei internationalen Unternehmen und NGOs.  Mit ihrer Hilfe unternahm er seine erste Reise in die Ferne - nach Japan und Nepal.

„Der erste Ort, der mir die Augen geöffnet hat, war Japan. Es veränderte meine Sichtweise und gab mir thematische Anhaltspunkte für die Erstellung der Fotos“,erzählte Martin Grachowski gegenüber Radio Bulgarien und sagte noch:

„In meiner Diplomarbeit ging es um Menschenhandel, und das ist ein Thema, über das in Japan überhaupt nicht mehr gesprochen wird, obwohl das Problem schon in den 1990er Jahren bestand. Zufällig bot eine Fluglinie einen Flug nach Japan an, der günstig war, und ich verbrachte zwei Monate in der Unterwelt von Tokio. Ich habe auch Interviews mit Undercover-Journalisten geführt. Ich traf ehemalige Mitglieder der japanischen Mafia, Mädels, die der Sexindustrie entkommen waren. Plötzlich fand ich mich mit Recherchen zu einem ernsten Thema wieder. Ich verliebte mich in das Land und verbrachte dort jede freie Minute mit Dreharbeiten - ich reiste mit der Kamera durch dieses extrem farbenfrohe und schöne Land.“

Was genau sucht er auf seinen langen und spannenden Reisen?

Martin Grachowski hat die Antwort auf diese Frage bereits gefunden. Er will einen Vergleich zwischen Moral, Werten und Normen in den scheinbar so unterschiedlichen Gesellschaften anstellen, die er mit dem Auge der Kamera betrachtet.

„Es gibt große Unterschiede von Land zu Land, genauso wie zwischen der Hauptstadt und einem kleinen Dorf“, erklärte er uns:

Kirgisistan

„Ein Beispiel ist Kirgisistan. Das Land ist eine Kombination aus der Schweiz, Norwegen und der Mongolei - es gibt dort so viele schöne Landschaften. Als ich das zweite Mal nach Kirgisistan zurückkehrte, besuchte ich eine alte Bergbaustadt, Engilchek, in der etwa 20-30 Familien leben. Hier fühlt man sich wie auf dem Mars - die meisten Häuser sind verlassen und liegen in einer Sandwüste, die von Felsen umgeben ist. Um in die nächste bevölkerungsreichere Stadt zu gelangen, muss man über 10 Stunden fahren und einen 6.000 Meter hohen Pass überqueren. Man fühlt sich von der Welt abgeschnitten. Als ich dort ankam, sah ich, dass dieses Dorf voller Kinder war, ein äußerst lebendiger Ort. Es waren etwa 30-40 Kinder, die uns das Dorf zeigen wollten. Diese Menschen sehen keine Touristen, es ist sehr selten, dass einer vorbeikommt. Aber das Zusammengehörigkeitsgefühl unter ihnen ist erstaunlich. Sie bekommen einmal in der Woche Lebensmittel geliefert und wissen doch, dass sie nie hungern werden und dass es dort nie ernsthafte Probleme geben wird, weil sie sich aufeinander verlassen können. Sie sind eine eingeschworene Gemeinschaft.  Alles, was sie dort tun, ist mit einer gewissen Magie aufgeladen, selbst jede helfende Hand ist etwas, das die Menschen verbindet. Die Menschen dort glauben, dass es unsichtbare Kräfte gibt, die ihnen helfen, stark und verbunden zu bleiben und in der rauen Umgebung zu überleben.“

Diesen starken Glauben an die Menschen, dass es ihnen nur dann gut geht, wenn sie zu einer zusammenhaltenden und geistig attraktiven Gemeinschaft gehören, hat Martin Grachowski auch in Bulgarien gefunden. Auch wenn er alle seine Ausbildungsjahre im Ausland verbracht hat, fühlt sich der junge Reisende überwiegend als Bulgare. Er sagt, dass die Zeit, die er während der Sommerferien in Bulgarien verbracht hat, dazu beigetragen hat.

Nach einer langen Reise zu exotischen Orten stellte Martin Grachowski fest, dass es viele Dinge gab, die er von Bulgarien der Welt zeigen wollte. So entstand seine Werbeserie „3 Minuten Bulgarien“, die der Folklore, den Traditionen, bemerkenswerten Orten und vor allem den Menschen in unserem Land gewidmet ist. 

In seinem Video „48 Stunden“ spricht Martin Grachowski über drei unserer besten Fotografen und die Orte ihrer Inspiration. Und das charmante Video „Für Sofia, mit Liebe“, das unserer Hauptstadt als Reiseziel gewidmet ist, brachte ihm einen der renommiertesten Tourismuspreise in Europa ein.

„Obwohl ich die Gelegenheit hatte, viele unbekannte und exotische Länder zu bereisen, wurde mir irgendwann klar, dass ich nicht genug Zeit in Bulgarien verbracht hatte. Deshalb bin ich im Alter von 23 Jahren hierher zurückgekehrt, und ich habe nicht die Absicht, wieder wegzugehen. Bulgarien ist jetzt mein Ausgangspunkt für neue Reisen in die Ferne“, erzählte Martin Grachowski und sagte noch:

„Der eigentliche Grund für meinen Aufenthalt in Bulgarien war die Nationale Schule für Volkskunst in Schiroka Laka. Als ich dort war, drehte ich eine Serie von 50 Folgen über verschiedene Orte in Bulgarien. Und gerade die fünfzigste Folge handelte von Schiroka Laka. Als sie erfuhren, dass ich kommen würde, organisierten sie ein Privatkonzert in der Schule, und alle Kinder kamen auf die Bühne. Dann beschloss ihr Dirigent Gantscho Gawasow, alles für mich zu organisieren, und wir beide sind bereits gute Freunde. Dieser Moment, diese Begegnung mit den Talenten dort hat mich definitiv dazu gebracht, Bulgarien nicht mehr verlassen zu wollen. Von da an widmete ich meine Zeit der Suche nach verschwindenden Traditionen, Handwerken und ganz allgemein dem Erbe unseres Volkes, das an vielen Orten in Bulgarien bewahrt wird. Das eindrucksvollste Beispiel dafür istDolna Sekirna, wo ich einen Dokumentarfilm über die Surwa-Gruppe des Dorfes gedreht habe.“

„Ich drehte den Film im Jahr 2021, kehrte dann aber 2024 nach Dolna Sekirna zurück und verbrachte die Abende mit den Menschen, die ich bereits gefilmt hatte. Mit ihnen haben wir Rakija getrunken und über das Leben gesprochen. Ich verstand den lokalen Dialekt nicht, was sie sehr amüsierte. Dort traf ich auch Oma Stanka, eine 95-jährige Frau, die nie zur Schule gegangen war, aber hart gearbeitet hatte und mich mit ihren klaren und sehr aufschlussreichen Überlegungen beeindruckte. Im Interview fragte ich sie, warum es wichtig ist, dass etwas so Altes wie der Surwa-Brauch in einem so kleinen Ort weiterbesteht? Und in Oma Stankas Antwort hörte ich den wichtigsten Grund - dass die jungen Leute sehen müssen, woran die Menschen vor ihnen geglaubt haben, und es weitergeben. In der Tat glauben die Menschen dort, dass dem Dorf etwas sehr Schlimmes widerfahren wird, wenn Surwa nicht stattfindet. Diese Magie fasziniert auch mich, und ich bin inzwischen der festen Überzeugung, dass, wenn diese bulgarischen Traditionen nicht mehr existieren, etwas in unserem Land zerbrechen und das ganze System unserer Existenz beschädigen wird.“

Dieses Gefühl von der Kraft der Tradition, das die Bulgaren verbindet, wo immer sie sind, spürt Martin Grachowski überall in Bulgarien. „Wir haben großes Glück, denn in unserem Land gibt es dieses Gefühl der gemeinsamen Wurzeln. Das ist es, was an vielen Orten in Europa fehlt, es existiert nicht mehr“, sagte noch der junge Fotograf.

„Ich habe viele Gespräche mit Freunden aus Europa und den USA darüber geführt, ob sie das Gefühl haben, Wurzeln zu haben und was es bedeutet, sich irgendwo zugehörig zu fühlen. Aber ich kann sehen, dass es hier in Bulgarien ein Gefühl der Zugehörigkeit gibt. Das liegt an unserer Geschichte und an unserem Land, das uns definitiv zur Heimat zurückzieht. Sogar ich, der ich mein ganzes Leben in einem fernen Land verbracht habe, spüre, dass da noch etwas anderes ist als die Erziehung, etwas noch Stärkeres, das mich erschaudern lässt, wenn ich bulgarische Volksmusik höre. Diese Begegnungen mit bulgarischen Traditionen haben mich so stark beeinflusst, dass es etwas in mir Verschlüsseltes ist, das mich nach Bulgarien zurückkehren ließ“, sagte zum Schluss Martin Grachowski.


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Zusammengestellt: Gergana Mantschewa

Übersetzung: Antonia Iliewa

Redaktion: Rossiza Radulowa

Veröffentlicht von Marta Ros

Fotos: Facebook /Martin Grahovski, YouTube /Martin - Documentary Filmmaker, madepro.bg



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