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Drei Ansichten bulgarischer Historiker zur Vereinigung Bulgariens

Foto: Archiv

Im Juli 1878, nach dem zehnten Russisch-Türkischen Krieg, wurden die von Bulgaren bewohnten Gebiete auf dem Balkan beim Berliner Kongress in fünf Teile aufgeteilt. Norddobrudscha wurde an Rumänien abgetreten. Serbien erhielt den Sandschak von Niš (Sandschak: militärische und administrative territoriale Einheit im Osmanischen Reich, Anm. d. Red.). Die Gebiete zwischen der Donau und dem Stara-Planina-Gebirge bildeten zusammen mit dem Sandschak von Sofia das formell dem Osmanischen Reich unterstellte Fürstentum Bulgarien. Im Süden, in Thrakien und den Rhodopen, lag die autonome Region Ostrumelien unter der Herrschaft des Sultans. Die Bulgaren in Mazedonien und im Gebiet um Adrianopel, dem heutigen Edirne, verblieben innerhalb der Grenzen des Osmanischen Reiches. 
Am 6. September 1885 vereinigten sich das Fürstentum Bulgarien und Ostrumelien, trotz der Einwände Russlands, und standen von nun an unter der Herrschaft des bulgarischen Fürsten Alexander von Battenberg. Während der darauffolgenden diplomatischen Turbulenzen griff das Königreich Serbien im November Bulgarien an, um die Vereinigung zu verhindern. Die bulgarische Armee errang einen unerwarteten Sieg und die Großmächte sahen sich gezwungen, den neuen Status quo anzuerkennen.

Die Professoren Milko Palangurski von der Universität „Heilige Kyrill und Method“ in Weliko Tarnowo, Wesselin Jantschew von der Sofioter Universität „Heiliger Kliment Ochridski“ und Petar Stojanowitch vom Institut für Historische Studien an der Bulgarischen Akademie der Wissenschaften haben gemeinsam ein Buch mit dem Titel „Drei Ansichten zur Vereinigung“ veröffentlicht. 
In den Studien untersuchen die Autoren aus verschiedenen Blickwinkeln die Beteiligung des bulgarischen Fürsten Alexander I. an den Ereignissen, die zur ersten bedeutenden und dauerhaften Vereinigung der Bulgaren nach der Befreiung von der osmanischen Fremdherrschaft führten.



Der damals 23-jährige Prinz Alexander von Battenberg wurde von seinem Onkel, dem russischen Kaiser Alexander II., zum Herrscher Bulgariens ernannt. Doch sieben Jahre später war er von Russland unerwünscht und sollte vom bulgarischen Thron gestürzt werden. Professor Wesselin Jantschew erklärt für Radio Bulgarien, warum es zu dieser Wende kam.

Prof. Wesselin Jantschew
„Die kurze Antwort gibt Fürst Alexander selbst, der nach seiner Abdankung erklärte, dass seine größte Sünde gegenüber Russland seine Entscheidung für eine unabhängige Politik gewesen sei“, betont Jantschew. „Russland hatte eine andere Vision für das Fürstentum Bulgarien und den bulgarischen Fürsten. Bulgarien sollte ein Gebiet auf der Balkanhalbinsel sein, das den russischen Einfluss ausweiten und von dem aus Russland dem Vordringen Österreich-Ungarns auf den Balkan oder einem neuen Krieg mit dem Osmanischen Reich erfolgreich entgegentreten kann. Das Bestreben des bulgarischen Fürsten Alexander I., die Armee unter seine Kontrolle zu stellen und sie bulgarischen, nicht russischen Interessen unterzuordnen, ist für mich der wichtigste Konflikt zwischen Bulgarien und Russland“, betont Prof. Jantschew führt auch ein weiteres wesentliches Problem zwischen „David und Goliath“ an, wie der Wissenschaftler diese Konfrontation definiert. 



„Das ist die Frage der Modernisierung Bulgariens. Russland konnte keinen zivilisierten und modernen Weg für die Entwicklung des neuen Staates bieten. Die Position von Fürst Alexander I., das Land solle über eine moderne Verwaltung, Produktion, Handel und Kommunikation verfügen, wurde von der russischen Diplomatie als verstecktes Bestreben Bulgariens wahrgenommen, sich von der Kontrolle und dem Einfluss Russlands zu lösen und sich nach Westen zu orientieren. Russische Diplomaten trugen St. Petersburg zu, dass sich westliche Einflussagenten um den Herrscher geschart hätten. Doch die Wahrheit sei eine andere, betont der Professor.



„Wir sollten die Mission von Prinz Alexander nicht außer Acht lassen, mit der er nach Bulgarien kam und die er bereits vor der Übernahme seiner königlichen Rechte verkündete. Er würde den Berliner Vertrag so lange wie möglich einhalten, sein Hauptziel sei jedoch die „Vereinigung aller bulgarischen Länder zu einem gemeinsamen Staat, unter einem königlichen Zepter“, wie er sein Ziel sehr eindrucksvoll formulierte. Diese Tatsache ist wenig bekannt. Der Fürst hatte die Vorstellung, dass seine Aufgabe als Herrscher darin bestand, die Bulgaren zu vereinen und Bulgarien in ein unabhängiges Königreich zu verwandeln. Natürlich konnte das nicht von einem Tag auf den anderen geschehen, nicht mal in einem Jahr. Tatsache ist jedoch, dass er mit dieser Mission nach Bulgarien kam, wofür es zahlreiche Beweise gibt. Während seiner gesamten Regierungszeit hat er in der einen oder anderen Form alle Initiativen und Ideen für eine Union zwischen dem Fürstentum Bulgarien und Ostrumelien unterstützt, wobei er auf akzeptable Weise zwischen den Positionen und Interessen der Großmächte manövriert hat.“

Prof. Petar Stojanowitsch
Die Idee zur Erstellung eines Triptychons in Buchform über die Vereinigung stammte von Prof. Stojanowitsch, sagt der Historiker. "Denn wie wir im Buch festgehalten haben, ist jeder Standpunkt der nächste, aber nicht der letzte."

Prof. Milko Palangurski
„Der Standpunkt von Professor Milko Palangurski resultiert aus der nationalen Idee, den Kämpfen um die nationale Vereinigung und der Vereinigung als Etappe in diesen Kämpfen. Es ist äußerst wichtig zu zeigen, dass eine solche Art der Vereinigung nicht immer möglich ist. Denn die Situation in Ostrumelien unterscheidet sich grundlegend von der in Mazedonien. Ganz zu schweigen von den Bulgaren aus dem Sandschak von Niš, aus Dobrudscha und den anderen Gebieten. Das sind bereits verschiedene Welten, in denen die Bulgaren leben. Ihre mechanische Vereinigung, so positiv sie auch klingen mag, ist zwar leicht auf dem Papier zu erreichen, aber nicht in der Realität.“

Petar Stojanowitsch, Wessenlin Jantschew und Milko Palangurski (von l. nach r.) bei der Buchpremiere

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Übersetzt und veröffentlicht von Georgetta Janewa
Fotos: BTA, Iwo Iwanow, Archiv



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