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Mehr als 150.000 Menschen leiden in Bulgarien an Anorexie und Bulimie

„Essen, oder nicht essen?“ Diese, an Shakespeares Hamlet angelehnte Frage bewegt die Gemüter Tausender Menschen in Bulgarien, die an Anorexie und Bulimie erkrankt sind. Unter diesen zwei Essstörungen leiden hauptsächlich Frauen im Alter zwischen 14 und 36 Jahren. Männer werden bei weitem weniger davon betroffen. Laut Angaben von heimischen Nichtregierungsorganisationen gibt es in Bulgarien mehr als 150.000 Mager- und Esssüchtige. Ihre Zahl ist in den letzten sechs bis sieben Jahren auf ein Mehrfaches angestiegen.

Essstörungen auf psychischer Basis sind nicht zu unterschätzen – sie schädigen nicht nur die körperliche Gesundheit, sie sind auch lebensgefährlich, weil beide Störungen oft massive Veränderungen verschiedener, natürlicher Gleichgewichtige im Körper hervorrufen. Die meisten Anorexie- und Bulimie-Patienten sind sich dessen nicht bewusst, oder verdrängen einfach diesen Gedanken. Prof. Dr. Boschidar Popow sagt, dass auch der Familien- und Freundeskreis der Kranken stark belastet wird. Der Experte ist Vorsitzender der bulgarischen Vereinigung für Ernährung und Diät.

„Das Problem ist in Bulgarien ausgesprochen schwerwiegend“, versichert Prof. Popow und deckt die Hintergründe auf: „Betroffen sind insbesondere Teenager und vor allem Mädchen, die sich in der Phase der Reife befinden. Die Krankheit beeinflusst negativ die Entwicklung ihrer Geschlechtsorgane, schädigt das endokrine System und kann zum Ausfall ganzer Organe führen. Man muss klar hervorheben, dass Untergewichtigkeit bei weitem lebensbedrohlicher ist, als Übergewichtigkeit. Im vergangenen Jahr wurde im Nationalen Zentrum für öffentliche Gesundheit ein Tag der offenen Tür veranstaltet, an dem wir über die Gefahren von Anorexie und Bulimie sprachen. Das Interesse war ausgesprochen groß und der überfüllte Saal zeigte uns, dass in die Initiative die allgemein-praktizierenden Ärzte einbezogen werden müssen, weil sie in direktem Kontakt zu den Kindern und Eltern stehen. Alljährlich finden Konferenzen zu diesem Thema statt, die speziell für Sprechstundenärzte gedacht sind. In diesem Jahr ist sie für Ende Mai geplant. Sie müssen nämlich über die Regeln für eine gesunde Ernährung genauestens informiert sein und sind dazu verpflichtet, ihre Patienten auf die Risiken bei Essstörungen und verschiedenen Diäten aufmerksam zu machen.“

In der modernen Gesellschaft ist man der Meinung, dass schlank schön ist. Dies wird uns jeden Tag, durch das Fernsehen, Illustrierte und Plakatwände, mit dünnen Frauen und Männern, suggeriert. Diese starke Beeinflussung führt dazu, dass jeder von uns so aussehen will, darum eine Diät hält und Gefahr läuft, an Anorexie zu erkranken. Die 17jährige Schülerin Gabriela Martschewa ist sich der Gefahren bewusst: „Ich verstehe unter gesunder Ernährung die ausgewogene Ernährung und nicht die einseitige Kost und der Verzicht auf verschiedene Produkte. Viele Mädchen essen dies und das nicht, nur weil ihnen jemand gesagt hat, dass sie dick davon werden. Das Problem mit der Anorexie und Bulimie ist wirklich sehr ernst – in jeder der oberen Klassen ist mindestens ein Mädchen, das in verschiedenen Umfang an diesen Krankheiten leidet. Einige Jungs wiederum sind fitnessgeil, halten eine strenge Eiweißdiät und nehmen spezielle Nahrungszusätze ein, um Muskelmasse zu bilden. Das ist meiner Meinung nach auch sehr schädlich“, meint die Schülerin.

Experten und Nichtregierungsorganisationen sind sich einig: Das Problem mit der Anorexie und Bulimie kann in Bulgarien nicht angemessen angegangen werden, weil es an einem Spezialklinikum fehlt. Die Kranken werden in den herkömmlichen Sprechstunden und Krankenhäusern behandelt und in schweren Fällen an psychiatrische Kliniken überwiesen, wo jedoch die Zahl psychisch stark gestörter Menschen überwiegt, was sich keinesfalls erbaulich auf die Mager- und Esssüchtigen auswirkt. Ungenügende oder falsche Behandlung führt zwangsläufig zu Rückfällen. Es hapert auch bei der Früherkennung dieser Krankheiten und man geht erst zum Arzt, wenn sich Komplikationen eingestellt haben.

Um hier Abhilfe zu schaffen, haben die Vereinigung „Gesundheitsschutz“ und die Stiftung „Natur und Gesundheit für Bulgarien“ eine nationale Aufklärungskampagne zu den Gefahren von Anorexie und Bulimie gestartet. In langfristiger Sicht soll auch ein spezielles Krankenhaus zur Behandlung von psychisch bedingten Essstörungen eingerichtet werden.

Übersetzung und Redaktion: Wladimir Wladimirow
По публикацията работи: Diana Hristakiewa


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