Im Zuge der Haushaltsdebatte über das laufende Jahr, die in dieser Woche stattfand, kam es am Mittwoch zu einer Abstimmung im Parlament, die zunächst kaum Beachtung fand. In einem Atemzug hat nämlich das frischgebackene Parlament in Sofia den Mehrwertsteuersatz auf Medikamenten, Lebensmitteln und Schulbüchern bei 20 Prozent unverändert gelassen, und gleichzeitig die Versteuerung von Glückspielen abgelehnt. Mehr noch – das Kindergartenspiel im Parlament geht weiter, denn die konservative Regierungsmehrheit lehnte den Gesetzentwurf des sozialistischen Abgeordneten Georgi Kadiew über die Versteuerung von Glückspielen ab, um anschließend fast den identischen Text als … eigene Novelle ins Parlament einzubringen.
Kadiew, ein Oppositioneller in der eigenen sozialistischen Partei, hatte ausgerechnet, dass die Lottosteuer zusätzliche 2,5 Millionen Euro in die ohnehin leere Staatskasse einspülen wird. Davon hatten sich zunächst auch die Mitglieder des parlamentarischen Haushaltsausschusses überzeugen lassen, denn sie hatten dem Gesetzentwurf des Sozialisten zugestimmt, und zwar ohne Gegenstimmen und Enthaltungen. Eine Woche später kam es im Plenarsaal dann aber anders. Was in der Woche zwischen der Sitzung im Ausschuss und der Plenarsitzung passiert ist, wissen wir (noch) nicht. Genau so wenig wissen wir, warum die bürgerliche Regierungspartei GERB plötzlich ein weiteres Mal umgedacht hat und die Lottospiele nun doch versteuern lassen will.
Am gleichen Tag der merkwürdigen Ablehnung der Glücksspielsteuer blieb eine weitere Steuermaßnahme außen vor. Die populistische Kleinpartei „Ataka“ hatte vorgeschlagen, dass in Bulgarien hergestellte Lebensmittel, Medikamente und Schulbücher von der 20prozentigen Mehrwertsteuer befreit werden. Als Begründung für diese gravierende Änderung in der Steuerpolitik des Landes führte „Ataka“ die niedrigen Einkommen, gepaart mit niedriger Kaufkraft weiter Teile der Bevölkerung sowie die progressiv steigenden Lebensmittelpreise an. Mehr noch – Bulgarien sei eines der wenigen EU-Länder, wo ein einheitlicher Mehrwertsteuersatz gelte. Und in der Tat – im kleinen Großherzogtum Luxemburg, wo die Einkommen EU-weit am höchsten sind, sind die Lebensmittel von der Mehrwertsteuer befreit. Im Gegensatz zum ärmsten EU-Land Bulgarien gibt es in vielen Ländern der Union differenzierte Steuersätze auf Lebensmitteln.
Bei ihrer Entscheidung lassen sich die Abgeordneten – so hoffen wir zumindest – von Expertenmeinungen und Analysen leiten. Vermutlich kennen sie aber die jüngste PISA-Studie aus dem Jahr 2012 und die Analyse der Weltbank nicht, wonach das bulgarische Schulsystem den Kindern aus unterschiedlichen sozialen Verhältnissen keine gleichen Chancen gibt. Im Vergleich zu den anderen EU-Ländern sind die schulischen Leistungen der bulgarischen Schüler von ihrem sozialen Umfeld am stärksten abhängig, heißt es dort weiter. Schüler aus sozialschwachen Familien hätten einen Rückstand im Vergleich zu ihren Altersgenossen von bis zu drei Jahren.
Die Regierungspartei GERB bezeichnete den Gesetzesvorstoß der Nationalisten von „Ataka“ über die Steuerbefreiung von Lebensmitteln, Medikamenten und Schulbüchern als populistisch, weil finanziell nicht abgesichert. „Woher sollen die 6 Milliarden Euro kommen, um die Steuerbefreiung zu finanzieren“, fragte rhetorisch GERB-Mann Latschezar Iwanow im Parlament. Na, zum Beispiel von der Lottosteuer. So muss auch die bürgerliche Regierungspartei gedacht haben, und verkündete überraschend, die Glücksspiele sollen nun doch versteuert werden. Ob und wann es dazu kommt, bleibt abzuwarten. Der bittere Nachgeschmack jedoch, dass steinreiche Lottobosse leichter Hand in Schutz genommen werden, nicht aber die einfachen Bürger des ärmsten EU-Landes, wird lange im Mund bleiben.
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