Dieser Tage wurde in der südbulgarischen Stadt Pasardschik die „Internationale Vereinigung für angewandtes Schach“ gegründet. Dieser bulgarischen Initiative schlossen sich Experten aus den USA, Deutschland, Spanien, Polen und Großbritannien an. Die Vereinigung hat sich drei Tätigkeitsbereiche ausgesucht: sie will forschen, heilen und ausbilden. Zu diesem Zweck ist ein internationaler Erfahrungsaustausch vorgesehen. Man will vor allem das Schachspiel und seine Anwendungen außerhalb des Sports popularisieren. Einzelheiten erfuhren wir von Radislaw Atanassow. Er unterrichtet an der Nationalen Sportakademie in Sofia und ist Vorsitzender des Leitungsrates dieser Lehranstalt.
„In Pasardschik befindet sich das Gemeindezentrum „Menschenliebe“, in dem der Psychiater Dr. Emil Markow erfolgreich Patienten behandelt. Er befasst sich als einziger in Bulgarien mit Heilung, Prophylaxe und soziale Integration mittels Schach. Das war die subjektive Komponente der Initiative. Die objektive Seite ist, dass das Schachspiel seit Jahrhunderten nicht eindeutig definiert werden kann. Für eine ist es ein Spiel, für andere Kunst und für dritte ein Sport. Das heißt, dass es verschiedene Herangehensweisen gibt, die nicht alle von der Sportföderation erfasst werden können. Sie befasst sich nämlich vor allem mit der Organisation von Wettkämpfen. Sehr viele Menschen empfinden jedoch vor allem Freude, wenn sie Schach spielen, ohne sich dabei für das Resultat zu interessieren. Es gibt Fachleute, die Elemente des Schachspiels in ihren Bereich einbringen und so das Ergebnis ihrer Arbeit verbessern.“
Solche Bereiche sind beispielsweise die Vorbereitung von Sportlern, da das Schach strategisches Denken, Taktik und konsequentes Handeln verlangt. In der Medizin wiederum werden Menschen mit Demenz oder Drogenabhängige erfolgreich behandelt. Schach hilft in der Psychotherapie zur Überwindung von Familienzwistigkeiten, aber auch bei der Arbeit mit Insassen von Haftanstalten. Im Zentrum „Menschenliebe“ werden bei Verhaltensstörungen die Symptome mittels Schach stark gemindert und verschwinden sogar völlig. Schach dringt nämlich hinter die Barriere des Bewusstseins ein, das unser Verhalten steuert.
„Außer in der Psychiatrie wird das Schachspiel weltweit zur Stimulierung der Bildungsprozesse eingesetzt“, erzählt weiter Radislaw Atanassow. „In der letzten Zeit wird immer mehr davon gesprochen, dass die Kinder auf die Schule vorbereitet werden müssen. Es geht nämlich nicht darum, dass sie 7 Jahre alt sein müssen, um eingeschult zu werden, sondern sie müssen bestimmte soziale und Bildungskompetenzen aufweisen. Es geht um die Fähigkeit, in einem Umfeld zu arbeiten, das von Regeln strukturiert wird. Schach hat sich hierbei sehr bewährt. Es ist nämlich ein Spiel, das klaren Regeln unterworfen ist. Diese Regeln erzeugen Spielsituationen, die positive Emotionen verursachen. Die Angst vor dem Zwang von Regeln wird somit abgebaut.“
In Frankreich unterstützt das dortige Sozialministerium finanziell die Entwicklung des sogenannten Korrespondenz-Schachs (Schach per E-Mail) unter Rentnern. Das hilft, die soziale Isolation zu überwinden, in die sie geraten sind. Es entstehen Klubs, virtuelle und wirkliche Treffen werden vereinbart. In Bulgarien gibt es so etwas leider noch nicht.
„Die Vereinigung für Korrespondenz-Schach hat sich zu diesem Thema vergebens mehrmals an das Sportministerium gewandt“, klagt Radislaw Atanassow. „Das Ministerium erkennt in ihr einfach keine Sportvereinigung. Daher haben wir den Rat der „Internationalen Vereinigung für angewandtes Schach“ beherzigt und werden uns nun an das Ministerium für Arbeit und Soziales wenden, von dem wir eine Unterstützung erwarten.“
Es gibt auch etliche andere Anwendungsgebiete für das Schach, die in den Augen der Sportvereinigungen und entsprechend der Öffentlichkeit unbeachtet geblieben sind. Wer hat beispielsweise etwas von „Aqua-Schach“ oder „Schach-Boxen“ gehört? Laut den Experten der Nationalen Sportakademie kann das Schachspiel mit schwimmenden Schachfiguren den Aufenthalt bei längeren balneologischen Prozeduren abwechslungsreicher gestalten. Man kann es auch im Schwimmunterricht anwenden.
„Das „Schach-Boxen“ blickt seinerseits auf über 20jährige Traditionen zurück“, erläutert Radislaw Atanassow. „Es werden Europa- und Weltmeisterschaften organisiert. Es gibt sogar einen Bulgaren – Tichomir Dowramadschiew, der zu den ersten Champions dieser Sportart gehört. Beim „Schach-Boxen“ werden jeweils 11 Runden ausgetragen. In den ungeradzahligen wird je 4 Minuten Schach gespielt, während in den geradzahligen 3 Minuten geboxt wird. Die Treffen sind ungemein interessant“, versicherte abschließend Radislaw Atanassow von der Nationalen Sportakademie in Sofia.
Übersetzung und Redaktion: Wladimir Wladimirow
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