Ob sich die Prognosen der Analysten über eine rekordverdächtig niedrige Wahlbeteiligung bewahrheiten, wird sich erst am Ende des heutigen Wahltages zeigen. Zum vierten Mal in weniger als zwei Jahren sollen wir zu den Wahlurnen gehen, um eine der Situation im Lande angemessene politische Vertretung zu wählen. Die komplizierte geopolitische Lage lädt zusätzliche Verantwortung auf die Schultern der Bulgaren, die der ständigen Krisen und Wahlen längst überdrüssig sind.
„Der Wahlkampf war äußerst flau und die Botschaften der Parteien korrespondieren nicht mit der gegenwärtigen Lage. Daher geht es generell um das Vertrauen in die Institutionen und in das politische System als Ganzes“, so der politische Analyst Atanas Radew gegenüber dem Bulgarischen Nationalen Rundfunk. Seinen Worten zufolge ist es den Politikern nicht gelungen, eine essentielle Debatte über Ideen, Konzepte und strategische Prioritäten zu führen. „In Anbetracht des Wahlkampfs bin ich nicht optimistisch, was die Wahlbeteiligung angeht“, ergänzte Atanas Radew.
Der heutigen Abstimmung ging ein uninteressanter Wahlkampf voraus, in dem die Wähler kaum vernünftige Ideen für eine Lösung der Wirtschafts- und Gaskrise an der Schwelle des Winters finden konnten. Deshalb ist es allzu verständlich, dass der Enthusiasmus der Wähler rapide nachgelassen hat. „Wir haben Schwierigkeiten, weil es uns an einer neuen Idee fehlt, die die Menschen begeistert“, sagte der Politikwissenschaftler Prof. Antoni Todorow. In dieser Situation könnten die gekauften Stimmen ausschlaggebend sein.
„Das Problem ist nicht von gestern. Leider konzentrieren wir uns oft mehr auf diejenigen, die ihre Stimme verkaufen als auf jene, die sie kaufen wollen. Dieses Knäuel muss entwirrt werden. Denn es gibt oft verzweifelte Menschen, die wissen, dass niemand etwas für sie tun wird und deshalb ihre Stimme verkaufen. Am gefährlichsten sind die Vermittler beim Stimmenkauf. Die Polizei tut zwar einiges dagegen, wie bei früheren Wahlen auch, aber solange keine Anstrengungen unternommen werden, die Politik von dieser kontraproduktiven Marktlogik zu befreien, die Leute ins Parlament bringt, die keine Politik machen wollen, sondern ihr eigenes Geschäft, wird der Kauf und Verkauf von Stimmen weitergehen“, sagte Prof. Antoni Todorow.
„Die Parteien müssen ein funktionierendes Parlament bilden, eine Regierung aufstellen, aber im Moment scheint leider alles auf der Kippe zu stehen“, sagte die politische Analystin Maraja Zwetkowa in einem Interview für den BNR Widin. Sie hofft, dass die Wahlbeteiligung nicht zu gering sein wird.
„Meine Hoffnung schwindet jedoch ein wenig, denn ich sehe, dass es den Politikern erneut nicht gelungen ist, die Bürger so zu mobilisieren, wie sie es tun sollten. Die Menschen sind wirklich entmutigt. Für uns Politikwissenschaftler wird es immer schwieriger, sie zu motivieren, den Gang zu den Wahlurnen zu machen“, meint sie.
Das ist mit Sicherheit eine komplizierte politische Lage, in der die Verantwortung einmal mehr in den Händen der Wähler liegt, die auf der Suche nach „Rettung“ hin und her schwanken. Meinungsumfragen am Vorabend der Wahlen ergaben, dass die Sorge um das eigene materielle Wohlergehen zugenommen hat. 61 Prozent der befragten Bulgaren glauben, dass sich die Lage in unserem Land im nächsten Jahr verschlechtern wird. Fast 40 Prozent sagen, dass sie in den kommenden Monaten bei Heizung und Lebensmitteln sparen müssen. Parallel dazu wächst die Angst vor einem Krieg - 40 Prozent der Befragten sehen die Gefahr eines Weltkriegs in den nächsten zwei Jahren. Ob die Ängste unserer Landsleute dazu führen werden, dass sie sich in ihr Schneckenhaus zurückziehen aber oder zu den Wahlurnen gehen – das werden wir in wenigen Stunden erfahren.
Zusammengestellt von: Elena Karkalanowa
Übersetzung: Rossiza Radulowa
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