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Erneut vorgezogene Wahlen – kein Ausweg aus politischem Labyrinth in Sicht

Bulgarien bereitet sich bereits auf die fünften Parlamentswahlen in rund zwei Jahren vor, nachdem sich das politische Roulett zur Regierungsbildung erneut ergebnislos drehte. Am Dienstag dieser Woche (24. Januar) wird die „Bulgarische Sozialistische Partei“ (BSP) den ihr übergebenen Auftrag zur Regierungsbildung unerfüllter Dinge wieder an den Staatspräsidenten zurückgeben. Nur drei von sieben Parlamentsfraktionen waren der Einladung der Partei zu Gesprächen gefolgt - GERB, „Bewegung für Rechte und Freiheiten“ (DPS) und „Bulgarischer Fortschritt“. Nach dem Führungstreffen wurde deutlich, dass keine Einigung über die vorgeschlagenen Ausrichtungen und Prioritäten erzielt werden kann, obwohl sie sich um die für das Land wichtigen Gesetze im Rahmen des Wiederaufbau- und Nachhaltigkeitsplans, den Haushalt für das laufende Jahr, den Beitritt zum Schengen-Raum und die Justizreform drehen. Die Sozialisten haben jedoch seit Jahren mit einem Image-Problem zu kämpfen. Iwan Sotirow, ehemaliger stellvertretender Vorsitzender der UDK und ehemaliger Abgeordneter, erklärte das in einem Interview für den BNR:

Iwan Sotirow

„Wenn die BSP als demokratische Partei wahrgenommen werden will, muss sie sich klar vom kommunistischen Regime (der „Bulgarischen Kommunistischen Partei“ BKP) abgrenzen. Denn all die Probleme, mit denen wir heute konfrontiert werden, sind größtenteils auf Reminiszenzen jener Zeit zurückzuführen, in der man im treuen Dienst des Kreml stand. Wir treten auf der Stelle, weil sich in dieser Richtung seit 30 Jahren nichts geändert hat. Das Problem ist, dass alle Parteien bis zu einem gewissen Grad ein Produkt der BKP-Nomenklatura und ihrer Nachfolger sind.“

Sotirow ist ferner davon überzeugt, dass den Parteien die Verantwortung für die zu lange Zeit zukomme, in der zwangsläufig alle Macht in den Händen von Staatspräsident Rumen Radew konzentriert war:

„Diese Krise des Parteiensystems führt auch zu einem weiteren Problem – es wird eine Hintertür in der Verfassung genutzt, nämlich die sogenannte „Übergangsregierung“, mit der der parlamentarische Charakter Bulgariens aufgehoben wird. Wir können jetzt nicht von einer versteckten präsidialen Regierungsform sprechen, sondern von einem Ein-Mann-Regime.“

Staatspräsident Rumen Radew

In einem Interview für das „Darik Radio“ bestritt der Staatpräsident, der Schöpfer des sogenannten „Radew“-Modells zu sein, und versicherte, dass er sich einzig an die von der Verfassung übertragenen Befugnisse halte.

Nach dem Scheitern des dritten Regierungsauftrags wird der Präsident in den kommenden Tagen die 48. Volksversammlung auflösen und eine Übergangsregierung ernennen, in der Galab Donew erneut den Posten des Ministerpräsidenten bekleiden wird. Das konkrete Datum für die nächsten vorgezogenen Parlamentswahlen, die für Anfang April erwartet werden, muss das Staatsoberhaupt noch festlegen.

Vor diesem Hintergrund bereiten sich zwei Koalitionspartner der letzten regulären Regierung – „Wir setzen die Veränderung fort“ und „Demokratisches Bulgarien“, die nicht zum Treffen mit der BSP erschienen sind, bereits auf den neuen Wahlkampf vor. In der Zwischenzeit machte sich das Gerücht breit, dass sich die Formation „Wir setzen die Veränderung fort“ spalten würde, was Parteifunktionär Daniel Lorer als Spekulation abtut: 

Daniel Lorer von „Wir setzen die Veränderung fort“

„Sie sind Teil der Versuche, Angst vor einer Spaltung der Parteien der Veränderungen zu schüren. Seit dem Erscheinen von „Wir setzen die Veränderung fort“ ist etwas Neues passiert - es wird im Hellen gearbeitet und die unterschiedlichen Meinungen finden Gehör. Das verärgert diejenigen sehr, die es gewohnt sind, im Dunkeln zu arbeiten und mit den Techniken der Vergangenheit Stimmungen zu suggerieren. Wir haben vor, landesweit gemeinsame Listen mit „Demokratisches Bulgarin“ aufzustellen und unsere Koalition um weitere nationale und regionale Formationen zu erweitern. Das wird noch vor den Wahlen geschehen.“

Die politische Sackgasse, in der sich das Land seit fast zwei Jahren befindet, lenkt zunehmend die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf die Möglichkeit, das Regierungssystem von einer parlamentarischen zu einer präsidentiellen Republik zu ändern. Eine entsprechende Unterschriftensammlung wurde bereits gestartet:

Dozent Christo Paunow

In einem heterogenen Parlament können sich die Parteien nicht einmal zu grundlegenden Fragen einigen“, konstatiert Dozent Christo Paunow, der Verfassungsrecht an der Universität Plowdiw und der Universität für National- und Weltwirtschaft unterrichtet. „Die Volksvertreter müssen begreifen, dass die Hauptaufgabe des Parlaments in der Gesetzgebung liegt. Es gibt noch eine weitere sehr wichtige Funktion, die sie fast vergessen haben, nämlich die Bildung höherer Gremien und deren Neubesetzung, sobald das Mandat ihrer Mitglieder abgelaufen ist. Wenn diese Dinge nicht vom Parlament erledigt werden, spielt es den Ball automatisch den Verfechtern der „Änderung der Regierungsform“ zu.“

Ob und inwieweit ein solcher Wunsch nach einem Referendum von einem seiner Initiatoren für politische Zwecke genutzt wird, bleibt abzuwarten. Eines ist sicher – ein „heißes“ politisches Halbjahr erwartet uns, und das Verlassen des Labyrinths, in dem wir uns momentan befinden, wurde erneut verschoben.

Zusammengestellt: Joan Kolew
Übersetzung und Redaktion: Wladimir Wladimirow
Fotos: BNR, BGNES, Privatarchiv




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