Am 10. November 1989 wurde Todor Schiwkow auf einem Plenum des Zentralkomitees der Bulgarischen Kommunistischen Partei (BKP) aus dem Amt des Generalsekretärs entlassen - dem höchsten Amt in Partei und Staat.
Was auf der Sitzung geschah, wurde später als „parteiinterner Staatsstreich“ bezeichnet und die darauf folgenden Ereignisse gingen als „stille Revolution“ in der jüngeren Geschichte ein.
Obwohl das System im darauffolgenden Jahr abgelöst wurde und die ersten Wirtschaftsreformen erst nach den Wahlen zur 36. Volksversammlung im Jahr 1991 begannen, wurde der 10. November 1989 sehr bald zum Symbol für den Anfang der Wende zu Demokratie und Marktwirtschaft in Bulgarien.
Heute sind es 35 Jahre her seit dem historischen Plenum - genauso viele, wie die Regierungszeit von Todor Schiwkow gedauert hat. Dieser Jahrestag ruft sicherlich Erinnerungen, Überlegungen und Bilanzen hervor.
Das Plenum ist emblematisch und gibt die Richtung unserer jüngsten Geschichte vor, aber es ist nicht das erste, das uns den Weg zu einer demokratischen Gesellschaft beschreiten ließ. Eine Woche zuvor, am 3. November 1989, organisierte die neu gegründete unabhängige Vereinigung „Ekoglasnost“ einen Protestmarsch und übergab im Parlament demonstrativ eine Petition gegen den Bau von Wasserkraftwerken im Rila-Gebirge. Dieser Marsch war ein Ereignis, denn so etwas hatte seit mehr als 40 Jahren nicht stattgefunden. Zur gleichen Zeit kam es im gesamten Ostblock (den sozialistischen Ländern Mittel- und Osteuropas) zu einer Welle friedlicher Proteste und bald tauchte der Begriff „Herbst der Völker“ auf.
„Die Menschen bereiteten sich auf einen Wandel vor“, kommentierte Dr. Peter Beron, einer der bedeutendsten zeitgenössischen Wissenschaftler, Erbe und Namensvetter des Autors der „Fischfibel“, aber auch einer der Mitbegründer von „Ekoglasnost“ und der „Union der Demokratischen Kräfte“ (SDS), Teilnehmer am Nationalen Runden Tisch und Unterzeichner unserer neuen Verfassung.
„Wir von „Ekoglasnost“ haben im Garten vor der Konditorei „Kristall“ Unterschriften gesammelt“, erinnertesich Dr. Beron gegenüber Radio Bulgarien und fügte hinzu:
„Wir haben die Unterschriften gesammelt, aber wir mussten sie auch dem Parlament vorlegen. So etwas war vorher noch nie passiert. Ich ging zum Bürgermeisteramt und sagte, dass am nächsten Tag eine Demonstration unter ihren Fenstern stattfinden würde, und dass für Sicherheit gesorgt werden müsse, um Unruhen zu vermeiden. Der Bürgermeister war schockiert, aber er organisierte Wachkräfte, die rote Bänder um hatten und wir steckten uns blaue Bänder an. So wurde die blaue Farbe später zum Symbol des SDS. Am 3. November marschierten wir mit etwa 3.000 mutigen Menschen zum Parlament. Als wir den Platz vor der Alexander-Newski-Kathedrale erreichten, läuteten um Punkt 17.00 Uhr die Glocken. Die Menschen brachen in Tränen aus und riefen: „Es ist vorbei!“
Die gleichen Rufe waren am 10. November und bei den in den folgenden Tagen organisierten Kundgebungen zu hören.
„Wir haben jedoch bald gemerkt, dass der Machtwechsel keine leichte Sache ist. Die Kommunisten hatten das Geld, die Armee, die Miliz und die Geheimdienste in der Hand, und das Volk hatte nichts, wollte aber das alte Regime nicht“, erinnerte sich Dr. Petar Beron und fügte hinzu, dass zur Vermeidung von Blutvergießen ein Nationaler Runder Tisch organisiert wurde, an dem die wichtigsten politischen Kräfte - die SDS und die BKP - eine Reihe von Vereinbarungen ausgehandelt und unterzeichnet haben, die einen friedlichen Verlauf der Wende garantieren. Außerdem wurde eine Große Volksversammlung einberufen, die die Verfassung ausarbeiten sollte:
„Die Große Volksversammlung war ein wahrhaft repräsentativer Querschnitt der Gesellschaft - da waren Gefangene und deren Peiniger, die besten Schriftsteller und Musiker - wie Waleti Petrow, Kiril Maritschkowetc. Wir haben eine europäische Verfassung ausgearbeitet. Ihr erster Teil ist der EU-Grundrechtecharta entnommen - Redefreiheit, Pressefreiheit, Reisefreiheit usw.“
Laut Dr. Petar Beron brauchen wir eine nationale Doktrin und ein Gefühl für nationale Würde, um aus der heutigen politischen Krise herauszufinden.
„Sie ist der Grund, warum viele gute junge Menschen unser Land verlassen. Und was nützt uns unsere Demokratie ohne Bulgaren“, fragt Dr. Beron. Anders als damals gebe es heute keine „revolutionäre Atmosphäre“. Die Volksversammlung sei mit Scharlatanen unterster Schublade besetzt. Die Menschen sehen all das und gehen deshalb nicht zur Wahl, ist Dr. Beron felsenfest überzeugt. „Das Vertrauen in die Volksversammlung beträgt 6 Prozent und diese Leute entscheiden über unser Schicksal... Wir sollten Teil der EU sein, uns würdevoll verhalten und nicht tun, was die Bosse sagen. Wir sollten standhaft bleiben und unsere Visionen zeigen, unsere Projekte entwickeln und die Mittel dafür verwenden. Jetzt geben sie uns kein Geld, weil sie uns nicht vertrauen, und nicht, weil wir ihre Empfehlungen nicht befolgen“, sagte der Wissenschaftler und weiter:
„Wo stehen wir heute? Dort, wo wir seit 13 Jahrhunderten sind. Unser Land ist das einzige in Europa, das in all diesen Jahrhunderten seinen Namen beibehalten hat. Wir sind gespalten in Russophile und Menschen mit westlicher Überzeugung, aber wir sind ein Volk - wir atmen dieselbe Luft. Wir müssen uns gegenseitig helfen und uns um unser Land kümmern! Es wäre schade, wenn unser Land aufgrund von Nachlässigkeit und Kriecherei untergeht. Wir haben eine herrliche Natur - im gesegnetsten Teil der gemäßigten Zone - fruchtbares Land, Berge, Meer, Flüsse und fleißige Menschen. Wir sind eine Nation mit Würde, Geschichte, Traditionen und einer geografischen Lage, die strategisch wichtig ist - das sind Trümpfe, die wir nutzen können, aber wir müssen auch lernen, Nein zu sagen“, so Dr. Petar Beron abschließend.
Übersetzung: Rossiza Radulowa
Fotos: BGNES, BNR-Archiv, Archiv
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