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Bulgarien debattiert über Antikrisenmaßnahmen

Nach vielen Emotionen und öffentlichen Kontroversen um „außer Acht gelassene Ideen“ zur Krisenbewältigung setzten sich Regierung, Gewerkschaften und Arbeitgeber an einen Tisch, um die Stabilisierung der bulgarischen Finanzen zu erörtern. Wie aus Regierungskreisen verlautete, hat sich allein in den ersten beiden Monaten des Jahres ein Haushaltsdefizit von über 700 Millionen Euro angehäuft. Die Gründe dafür sind zwei. Einerseits musste der Staat seine Außenstände gegenüber Unternehmen begleichen und andererseits flossen weniger Einnahmen in die Staatskasse. Für das angestrebte Haushaltsdefizit unter drei Prozent muss die bulgarische Regierung nun rund eine Milliarde Euro auftreiben.

„In 80 Prozent der von Gewerkschaften und Arbeitgebern unterbreiteten Vorschläge sind wir einer Meinung“, äußerte Finanzminister Simeon Djankow. Einer der Vorschläge betrifft eine zehnprozentige Steueramnestie für Immobilien, die mit Schwarzgeld gekauft wurden. Ministerpräsident Bojko Borisow lehnte eine Anhebung der Pauschalsteuer ab, unterbreitete jedoch den Vorschlag, für teure Jachten, Privatflugzeuge, Luxuslimousinen und großflächige Immobilien eine Luxussteuer zu erheben. Der Regierungschef begründete diesen Vorschlag mit „einer solidarischen Verteilung der Krisenlasten“. Der Vorschlag, so die Kommentare, sei wohl eher populistisch denn fiskalpolitisch einzuordnen.

Überraschend für Gewerkschaften und Arbeitgeber enthielt das Antikrisenpaket der Regierung den Vorschlag, die Mehrwertstuer innerhalb eines Jahres von 20 auf 22 Prozent anzuheben. Einige Experten versprechen sich davon umgehend mehr Haushaltseinnahmen, andere bezeichnen diesen Vorschlag als weiteren Schlag gegen die Wirtschaft. Eines ist jedoch sicher – die Staat will seine Anteile an Großunternehmen wie dem hauptstädtischen Fernwärmeversorger „Toplofikazja Sofia“ oder dem Nationalen Kulturpalast verkaufen. Veräußert werden sollen zudem überflüssiges Staatseigentum, das bisher zu Freundschaftspreisen an Drittpersonen vermietet wurde.

„Ich finde es schon merkwürdig, dass Gewerkschaften und Arbeitgeber einer Meinung sind, denn eigentlich sind in vielen wirtschaftlichen Belangen Gegner“, äußert Latschesar Bogdanow, Wirtschaftsanalyst von Industry Watch, gegenüber Radio Bulgarien. Die Antikrisenvorschläge kommentiert er folgendermaßen:

„Unter diesen Vorschlägen dominieren meiner Meinung nach extravagante und exotische Ideen, die auf ‚Wundern’ basieren – angefangen von Steueramnestien über eine Luxussteuer bis hin zur Festlegung von Gehaltsobergrenzen für Beamte, die mehr verdienen als der Ministerpräsident“, bezeichnete Latschesar Bogdanow einiger der Antikrisenvorschläge. „Alle diese Vorschläge sind dazu geeignet, die öffentliche Meinung aufzuwiegeln oder für erbitterte Diskussionen zu sorgen. Allerdings haben sie keinen Bezug zu den aktuellen Herausforderungen für die bulgarische Wirtschaft und für den Haushalt. Kein Land hat je seine schwierige Fiskalprobleme über die Einführung einer Luxussteuer oder die einmalige Erhebung einer Immobiliensteuer in Form einer Steueramnestie. Derartige Finanzquellen haben sich bisher nirgendwo als Grundpfeiler staatlicher Einkommen erwiesen.“

Gegenwärtig steht der bulgarische Haushalt vor der schwierigen Herausforderung dem Druck diverser Branchenorganisationen standzuhalten, die mehr staatlichen Zuwendungen fordern. Andererseits gehen die Einnahmen zurück. Es drohen Haushaltsdefizit und abnehmende Finanzstabilität.

„Für einen erneut ausgeglichenen Haushalt braucht man den entsprechenden Willen“, kommentiert Latschesar Bogdanow die defizitäre Haushaltslage. „Das Finanzministerium hat kleine klare Vorstellung über das Ausmaß des Problems, d.h. was für ein Haushaltsloch bis Jahresende entstehen könnte. Es bedarf tiefgreifender Maßnahmen für mehr Effizienz im öffentlichen Sektor. Das wiederum bedeutet, dass der Staat die Ausgaben senken muss. Allerdings verlangen alle Initiativen der Gewerkschaften, Arbeitgeber und einiger Minister mehr Ausgaben. Es müssen Einschränkungen auferlegt werden, etwa die Begrenzung von Gehältern, Investitionskosten oder anderweitigen Ausgaben. Die gesamte Rhetorik geht jedoch in die andere Richtung. Alle sehen im Staat eine Art Retter, der eine weitere Milliardensummen ausschüttet und die Dinge sind im Lot. In der Realität droht ein enormes Budgetdefizit. Diejenigen, die diese Vorschläge unterbreiten, sind der Annahme, dass die Regierung einen strengen Sparkurs verfolgt. Offensichtlich liegt eine Seite falsch. Beide Dinge sind nicht miteinander vereinbar.“

Übersetzung: Christine Christov
По публикацията работи: Tanja Harisanowa


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