Was haben der Ombudsmann, der Parlamentspräsident, der Verkehrsminister, die Sofioter Philharmoniker und Interpol-Gesuchte gemeinsam? Sie alle sind Opfer gefälschter Unterschriften nur einen Monat vor der EU-Wahl geworden. Mehrere bulgarische Parteien haben sich offenbar ihre Zulassung zur Europawahl erschlichen, indem sie bei der Registrierung nichtsahnende Bürger als ihre Unterstützer aufgeführt haben. Bulgarien wählt seine 17 EU-Parlamentarier am 25. Mai.
Der Missbrauch von Wählerdaten war enthüllt worden, nachdem die Wahlkommission eine neue Plattform im Internet freigeschaltet hatte. Damit können die Unterschriften von Wählern kontrolliert werden, die eine Partei für ihre Eintragung für die Europawahl gesammelt hat.
Befürchtet werden nun Datenklau oder -verkauf im großen Stil. Trotz der Aufregung lehnte die Zentrale Wahlkommission jedoch jede Verantwortung ab. Sie wies die Betroffenen an, die Staatsanwaltschaft oder die Datenschutzkommission einzuschalten.
Kritiker bemängeln, dass Datenschutzrechte verletzt würden. Arbeitgeber könnten etwa erfahren, für welche Partei sich ihre Mitarbeiter einsetzen. Zudem tauchten in der Presse Berichte auf, wonach es in Bulgarien mehr als 100 Firmen gäbe, die mit Daten einen regelrechten Handel treiben. Dies sei keine bulgarische Erfindung – gegen Datenklau und Missbrauch mit Personalien kämpfen auch viele andere europäische Länder. Hier geht es viel mehr darum, welchen Zwecken der Missbrauch dient. Und der Preis. Der Preis in Bulgarien ist die Macht.
Der Datenmissbrauch hat die politischen Beobachter in Bulgarien eigentlich nicht überrascht. Wir sind in all den Nachwendejahren Zeugen von viel zu vielen Schmutzkampagnen geworden. Nachdenklich stimmt der Kommentar des Wahlspezialisten Prof. Mihail Konstantinow aber dennoch an. Ihm zufolge sei der Datenklau eine tickende Zeitbombe und alle demokratischen Wahlen in Bulgarien nach `89 seien mehr oder weniger gefälscht.
„Knapp die Hälfte der Personalien der bulgarischen Staatsbürger sind kompromittiert“, behauptet Prof. Konstantinow. Die verkaufte Ware, sprich die Sozialversicherungsnummern der Wahlberechtigten, seien die Wählerlisten, die nach jeder Abstimmung in großen Säcken in unbekannte Richtung verschwinden, sagt der Professor. Und noch eine Art Drehscheibe für Personalien gibt es, heißt es in der hiesigen Presse. Im Handelsregister sind neben Name und Sozialversicherungsnummer auch Arbeitgeber und Berufsweg zu erfahren.
Dem Ombudsmann Konstantin Pentschew zufolge habe eine einzige Partei in Bulgarien nicht zu gefälschten Unterstützerlisten gegriffen. Er ist übrigens eines der populären Opfer des Missbrauchs. Dazu zählen noch die Sekretärin des Parlamentspräsidenten und zwei der meistgesuchten Kriminellen Angel Christow und Plamen Galew.
Trotz dieser Kuriositäten kann man sicher davon ausgehen, dass die Parteizentralen keine Verantwortung für den Riesenskandal übernehmen werden. Sie werden ganz bestimmt auch nicht strafrechtlich verfolgt werden.
Übersetzung und Redaktion: Vessela Vladkova
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