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25 Jahre, die Bulgarien nicht verändert haben

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Fotocollage: Wergil Mitew

Vor genau einem Viertel Jahrhundert erlebte der Status Quo der Sieger im Zweiten Weltkrieg in Europa ein Erdbeben der Stärke 9 nach der Richter-Skala. Ob die Erschütterung unerwartet war oder provoziert wurde, werden die künftigen Generationen erfahren, uns ist es heute nicht gestattet es zu wissen. So oder so lief nach 44 Jahren Kalter Krieg und friedliche Koexistenz zwischen Ost und West auf dem Alten Kontinent die Tauglichkeit der Jalta-Vereinbarungen zwischen der UdSSR, den USA und Großbritannien über die Teilung Europas nach dem Sieg über Nazi-Deutschland Ende des 20. Jahrhunderts ab. Moskau kapselte sich ab, und die Propaganda erklärte den Zerfall der Sowjetunion und ihrer Einflussbereiche für einen Sieg der westlichen Demokratie und ihrer Marktwirtschaft über den Totalitarismus und die Planwirtschaft.

Der Start des Wandels erfolgte im späten Herbst des fernen Jahres 1989. Jeder der sog. Satelliten-Staaten der Sowjetunion unterbrach die „Nabelschnur“ zu Moskau, über die billiges Öl strömte und ging seinen Weg zu den westlichen Werten. Die Sieger im Kalten Krieg verteilten ein „Verbraucherhandbuch“ für die Transformation, das aber so gelesen wurde, wie der Teufel die Bibel liest, zumindest in Bulgarien.

Am 10. November 1989 fand das Plenum des Zentralkomitees der Bulgarischen kommunistischen Partei statt, das Todor Schiwkow stürzte, der die Partei und den Staat 35 Jahre lang regierte. Die Analysten stritten vielleicht viel zu lange, ob es sich um eine Palastrevolte oder um einen Sieg der positiven Kräfte in der Partei, einen Zug zur Vermeidung eines Bürgerkrieges oder was nicht noch anderes gehandelt hat. Was ist das Positive und das Negative nach diesem historischen Umbruch?

Nach einer ganzen Ewigkeit der privaten kritischen Gespräche in der Küche über die Mängel des Regimes von Schiwkow erhielten die Bulgaren die Möglichkeit zu protestieren und auf den Straßen und Plätzen zu schreien, in Zeltstädten der „Wahrheit“ im Zentrum der Hauptstadt zu schlaffen, Kreuzungen zu blockieren und vieles andere mehr. Das kommunistische Presseorgan „Rabotnitschesko delo“ wurde durch die Konkurrenz von Dutzenden neuen freien Zeitung hinweggefegt. Es entstanden auch demokratische Parteien, die den Anspruch erhoben, im Parlament die neuen Zukunft Bulgariens zu schmieden.

Viele von denen, die heute behaupten, dass 25 Jahre Systemwechsel Bulgarien nicht so verändert haben, wie sie es sich ursprünglich mit der Naivität eines Kindes vorgestellt hatten, sind ehrliche Leute. Für sie sei heute klar, dass wie der Vogel Phönix aus der Asche die Kader des totalitären Systems in neuer Kleidung auf die Welle des wirtschaftliche Liberalismus aufgesprungen sind. Nach der Wende war der amerikanische Ausdruck modern, dass es unwichtig sei, wie man die erste Million gemacht hat. Unter dieser Devise begann die Ausplünderung des Staates. Die Chronik der Privatisierung „auf Bulgarisch“ kann als ein Handbuch für allerlei Betrug dienen. Deswegen besteht das bulgarische Unternehmertum heute nicht aus gebildeten und unternehmenslustigen Menschen, die für den Wohlstand der gesamten Gesellschaft verantwortlich sind, sondern vorwiegend aus räuberischen Gaunern. In der Presse wurde berichtet, dass 80 % der Arbeitgeber in Bulgarien nicht mehr als eine Schulbildung haben. Einige Kommentatoren sagten treffend, dass die bulgarischen Unternehmer zu sehr vom Ringkampf und gar nicht aus dem Schachspiel kommen.

Bulgarien wurde 2004 Mitglied der NATO und 2007 – der Europäischen Union. Gegenüber Brüssel sieht die Fassade auf den ersten Blick demokratisch aus: es finden freie Wahlen statt, im Parlament wird debattiert und es werden Gesetzte gemacht, die Presse kritisiert die Regierungen, es werden die europäischen Richtlinien eingehalten. Aber hinter der Fassade gibt es eine „graue Zone“, in der die Politik, Wirtschaft und das organisierte Verbrechen miteinander verwoben sind. Die Parteien bringen nicht die Interessen bestimmten gesellschaftlicher Schichten zum Ausdruck, sondern sind ein Instrument für das Verteilen von Finanzströmen, auch aus europäischen Fonds in Richtung auf die privilegierten Kreise. Heute spricht man immer mehr vom Eindringen der Mafia in die höchsten Etagen der Macht, von der allgegenwärtigen Korruption. Und hilft das?

Dank dieses typisch bulgarischen Modells von Quasi-Demokratie, die von oligarchischen Kreisen dominiert wird, ist Bulgarien nach 25 Jahren Systemwechsel zum ärmsten Land in der Europäischen Union geworden. Viele Waren des täglichen Bedarfs kosten hier mehr als in den entwickelten westlichen Ländern und der durchschnittliche Monatslohn ist nicht mehr als 400 Euro.

Die sozialen Dimensionen der Transformation sind nach 25 Jahren ebenfalls nicht ermutigend. Das Bildungs- und das Rentensystem, sowie die Gesundheitsfürsorge halten sich kaum über Wasser. Aber am schlimmsten ist das Ausbluten der Nation. Anderthalb Millionen Bulgaren sind nach 1989 ausgewandert und suchen ihr Glück im Ausland. Abgesehen von den Gastarbeitern, Zigeunern und Prostituierten, haben leider auch hoch qualifizierte Fachleute für Informatik, Spitzentechnologien und Mediziner das Land verlassen.

Die Mehrheit der Bulgaren sitzt heute, 25 Jahre später, erneut abends in ihrer Küche, aber nicht um den Politiker und Neureichen zu danken, sondern um zu überlegen, ob der Lohn für Nahrung, Kleidung, Strom und Heizung bis Ende des Monats reichen wird.

Übersetzung: Vladimir Daskalov



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