"Manche Leute tragen Pyjama mit Superman. Superman trägt Bojko-Borissow-Pyjama." Oder "Die Tränen von Bojko Borissow können Krebs heilen. Schade – Bojko Borissow weint nie." Das sind nur zwei der unzähligen Witze über den mächtigen Ministerpräsidenten Bulgariens, der in dieser Woche zum zweiten Mal seinen Hut genommen hat. Ob ihm eine glanzvolle Rückkehr, wie 2014 wieder gelingt? Gut möglich, aber auch ein Adieu ist nicht ganz auszuschließen. Vielleicht wird er fünf, oder gar zehn Jahre warten müssen, bis der heute 57-Jährige als bulgarischer Staatspräsident seine politische Karriere zum krönenden Abschluss bringt. Auf jeden Fall blickt er jetzt schon auf einen beachtenswerten politischen Werdegang zurück: Der ehemalige Feuerwehrmann, Leibwächter des letzten kommunistischen Diktators Todor Schiwkow und des Ex-Königs Simeon II., früherer Polizeichef und Sofioter Oberbürgermeister hat sich gleich zwei Mal ins Amt des Ministerpräsidenten gehievt. Seit Mittwoch dieser Woche ist es vorerst vorbei. Wer wird jetzt die Wehwehchen der Bulgaren beim Namen nennen? Wer wird, ganz nach deutschem Beispiel, für Disziplin und Ordnung sorgen?
Bald, sehr bald werden die Bürger dieses Landes ihren Fehler einsehen. Denn sie haben es sich selbst zuzuschreiben – sie haben ihn abgewählt. Die Vaterfigur Bojko Borissow steigt von der politischen Bühne, weil ihn die „bösen“ Bürger nicht mehr wollten. So hat der narzisstische Regierungschef die Wahlschlappe bei den Präsidentschaftswahlen gedeutet. Beleidigt trat er zurück. Und als Rache an den Wählern versprach er, seine Fraktion im Parlament werde die Forderung der Bürger nach Änderungen im Wahlrecht in ein Gesetz umsetzen. Denn die „bösen“ Bürger, die Borissows Präsidentschaftskandidatin nicht gewählt haben, haben mit überwältigender Mehrheit in einem Referendum die Einführung des Mehrheitswahlrechts gefordert. Gefordert haben sie auch, dass die Parteisubventionen drastisch reduziert werden und künftig nur noch 50 Cent pro Stimme betragen. Auch diese Fehlentscheidung werden die Bürger bereuen. Im Ernst. Und wenn es soweit kommt.
Zwei Drittel der Referendumsteilnehmer haben nach einem Mehrheitswahlrecht verlangt. Was es aber genau bedeutet, wissen sie nicht so recht. Können sie auch nicht – alle hatten sich so sehr auf die Präsidentschaftswahl konzentriert, dass die Diskussion über das Volksbegehren – solange es sie gab – untergetaucht ist. Bei einer Mehrheitswahl, wie etwa in Frankreich oder Großbritannien, wechseln sich die zwei größten Parteien als Wahlsieger ab. Die kleinen haben kein Wort mitzureden. Das würde in einem Land eintreten, wo im zersplitterten Parlament mit derzeit acht Fraktionen kaum eine Partei mehr als 100 Sitze in der 240köpfigen Volksversammlung erringen kann. Oder aufs Wesentliche reduziert: Die bürgerliche GERB und die ehemaligen Kommunisten der BSP werden sich in der Regierung abwechseln. Ach ja, und die Türkenpartei wäre natürlich auch stets vertreten, dank ihrer ethnischen Stammwählerschaft. Hinzu kommt, dass Bulgarien in 240 Wahlkreise mit garantiert gleicher Wählerzahl eingeteilt werden muss. Eine nicht einfache Aufgabe für Mathematiker, bedenke man, dass Bulgarien ein geografisch sehr zentralisiertes Land ist. In der Hauptstadt lebt ein Viertel der Bevölkerung, etwa ein weiteres Viertel ist auf wenige Großstädte verteilt. Der Rest – auf größtenteils menschenleere Gegenden. Nicht zu vergessen die rund zwei Millionen Auslandsbulgaren, verstreut in allen Herren Länder.
Und dann kommt ja die Sache mit den Subventionen – das Lieblingsthema der „bösen“ Bürger. Zugegeben, 5,50 Euro pro abgegebene Stimme ist im ärmsten EU-Land Luxus, den man sich nicht leisten kann. Beim Referendum stimmten zwei Drittel für die Reduzierung der Subvention auf 50 Cent. Warum ausgerechnet 50 Cent? Diese Frage bleibt seit Wochen in der Luft hängen. Jedem dürfte klar sein, dass die Parteien ohne Geld nicht existenzfähig sind. Die aufs Minimum reduzierte Subvention bedeutet nichts weiter, als dass der Weg für Lobbygelder in die Parteikassen freigeschaufelt wird. Was dann aus der Politik wird, ist eine weitere Frage, die in der Luft hängen bleibt.
Diese zwei sehr konkreten Änderungen im Wahlrecht gehen auf eine sich vertiefende Nachwendetendenz in Bulgarien zurück. Seit 1989 sind wir auf der Suche nach einem Allheilmittel, das uns ein Retter der Nation verabreicht und wir von heute auf morgen, ohne größeres Anstrengen, ein besseres, geordnetes und sorgenfreies Leben genießen. Nach der Wende lautete die Zauberformel „Demokratie“. Die Definition: das Gegenteil vom Sozialismus. Heute lautet sie „Mehrheitswahl“. Die Definition: das Gegenteil von 240 verhassten Taugenichts im Parlament. Früher erklärte man sich die Demokratie mit der Presse- und Meinungsfreiheit. 27 Jahre später gilt das gleiche Denkmuster: wenn die jetzige korrupte, verantwortungslose, überhebliche und unfähige Politelite in einer Verhältniswahl gewählt wurde, wird die Mehrheitswahl das ändern. Erst im Nachhinein wird den Enttäuschten einleuchten, dass in einer Mehrheitswahl genau die gleiche Politelite nur bestätigt wird. Es gibt einfach keine andere. Und die Schuld daran trägt nicht das Wahlrecht.
Der Wandel, von dem so viele in Bulgarien träumen, kann nur nach einem nüchternen Überlegen eintreten. Ein geändertes Wahlrecht würde das Leben in Bulgarien nicht schlagartig verändern. Schon Kurt Tucholsky hat es gesagt: Wenn Wahlen etwas änderten, wären sie längst verboten.
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