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Der verlorene Zauber von Heiligabend

Foto: Dr. Anelia Ownarska

Heiligabend wurde im Volksglauben als Teil einer dunklen, beängstigenden Zeit gesehen, die das ganze kommende Jahr beeinflussen könnte. Deshalb war die Nacht vor Weihnachten mit Vorhersagen, Gebeten und warmen Wünschen in Erwartung eines Neuanfangs verbunden.
Heutzutage beschränken sich die Vorbereitungen auf das Weihnachtsfest meist auf hektische Einkäufe, das Aussuchen von Geschenken, das Buchen von Hotels und Restaurants usw.

Unsere Vorfahren hingegen befolgten strenge Rituale, die mit tiefer Symbolik behaftet sind, um den Segen höherer Mächte für das Wohlergehen der Familie und ihrer Lieben zu erflehen.

Wie die Ethnologin Dr. Anelia Ownarska zu berichten weiß, waren die Aufgaben von Frauen und Männern bei den Vorbereitungen für die Heilige Nacht einst streng festgelegt.
Die Frauen bereiteten drei Arten von rituellem Brot sowie die rituellen Speisen und den Tisch vor.

Die Männer hingegen mussten den Badnik besorgen - einen speziell ausgewählten Baum, der vom jüngsten Mann der Familie auf rituelle Weise gefällt wurde, ohne auf den Boden zu fallen. Dieser Baum wurde nach Hause getragen, gesalbt und zum Anzünden des festlichen Herdes verwendet.

„Die anderen Männer kümmerten sich um die Tiere und bereiteten den Hof vor. Es gibt interessante rituelle Momente aus der Vergangenheit, die heute selten oder gar nicht mehr vorkommen, wie z. B. das 'Bedrohen der Obstbäume', d. h. man gibt vor, sie zu fällen, wenn sie keine Früchte tragen usw. Die Kinder halfen auch bei der Vorbereitung des Festes. Es gab einen sehr interessanten Moment - die Jungen, die aus unserer Sicht schon Teenager waren, fingen Spatzen, und ihre Großmütter brieten oder kochten sie dann am nächsten Tag, wenn das strenge Fasten zu Ende war“, erklärte Dr. Ownarska.

Man lud den Herrn oder die Jungfrau Maria ein, vom Himmel herabzusteigen und mit den Lebenden an der festlichen Tafel zu speisen. Die Hausherren ließen einen leeren Platz am Tisch für die verstorbenen Lieben, für die Seelen im Jenseits, für den Herrgott oder die Jungfrau Maria.
„In manchen Gegenden Bulgariens, wie zum Beispiel in der Schopenregion um Radomir, ging man, wenn das Abendessen aufgetischt und beweihräuchert war, nach draußen und die Älteren riefen:„Steig herab, Dscherman, zum Abendessen!“ 

Dscherman ist die Personifizierung einer höheren Macht, die auch für die Hagelstürme im Sommer verantwortlich ist. Alle Rituale rund um den Tisch und die Vorbereitungen für das Familienfest stehen im Zusammenhang mit der künftigen Fruchtbarkeit, dem künftigen Wohlergehen und der Beschwörung des Übernatürlichen, das dabei helfen soll“, erläuterte die Ethnologin.

Früher gab es keine Weihnachtsbäume. Und im Gegensatz zu heute tauschten die Familien in der Heiligen Nacht nicht stapelweise Geschenke aus. Aber jeder bekam neue gestrickte Strümpfe, und bevor man sich zum Festmahl setzte, musste man sich die Füße waschen und sie anziehen. Auch die Münze im Rundbrot wurde als Geschenk betrachtet. Allerdings sollte der Glückliche, dem sie zusammen mit dem Stück Brot zugeteilt wurde, damit etwas für die Familie kaufen, zum Beispiel Salz. Und wenn die Münze zusammen mit dem Stückchen Brot einem Außenstehenden zuteil wurde, löste der Besitzer sie sofort ein, damit sie und der damit verbundene Segen in der Familie blieb.

Doch was ist von diesen aufwendigenRiten übrig geblieben und wie hat sich der Geist des Heiligabends verändert?

Laut Dr. Ownarska gab es die ersten Veränderungen nach der Befreiung Bulgariens von der osmanischen Fremdherrschaft und dem Aufkommen der Industriegesellschaft. Aber nicht nur:

„Das sozialistische Regime, das diese religiös geprägten Feste verbot, hat den alten Traditionen einen schweren Schlag versetzt. Da es sich um einen langen Zeitraum handelt und eine ganze Generation betroffen wurde, begannen genau diese religiösen und glaubensbezogenen Momente der Feierlichkeiten zu verschwinden. Glücklicherweise ist man heute bestrebt, den Sinn dieses Festes wiederherzustellen. Aber unser heutiges Leben ist anders, es hat nicht mehr die bäuerliche Kultur der Vergangenheit, also muss das Fest durch familiäre Werte verstanden werden - Respekt für die Vorfahren, für die Älteren, für die Familie. Und - soweit möglich - sollten wir nach Wissen streben, wie es früher mal gewesen ist“, sagte Dr. Anelia Ownarska abschließend.


Übersetzung: Rossiza Radulowa

Fotos: Dr. Anelia Ownarska, Archiv



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